Weihnachten bringt die Familie wieder ein Opfer


Das Weihnachtsfest folgte einem festen Ritual, das die Familie ebenso fürchtete wie konsequent einhielt. Kaum wurden Änderungswünsche geäußert, nahm das die Mutter persönlich: „Ich weiß, es ist alles meine Schuld!“ sagte sie dann und alle waren sofort bemüht, ihr entgegen zu kommen. Also blieb alles, wie es gehasst war. Wie kann dieser Teufelskreis verlassen werden?

Das Opfer steht im MittelpunktIn einem Teufelskreis ↗ bewegen sich die Beteiligten zwar ständig, aber vorankommen tun sie nicht. Die Kinder fühlen sich von der ewig gleichen Weihnachtsabfolge eingeengt und wollen sich aus ihrem Korsett befreien. So machen sie der Mutter Vorwürfe: „Alles geht immer nur nach Deinem Willen!“ Die Mutter fühlt sich gekränkt und spielt mit dem Satz „Ich weiß, es ist alles meine Schuld!“ die Opferkarte aus. Die Kinder sind beschämt und um des lieben Frieden willens bleibt alles beim Alten. Bei nächstbester Gelegenheit wollen sie sich rächen, das Weihnachtsritual revolutionieren und schon geht es von vorne los.

Die Mutter hat, obwohl sie sich als diejenige darstellt, die scheinbar alle Schuld auf sich nimmt, eine äußerst machtvolle Rolle. Dank der Haltung „Ich bin ein armes Opfer, deshalb müsst ihr tun, was ich will“ agiert sie autoritär und jede Entwicklung ist gelähmt.

Die Opferhaltung als Herrschaftsinstrument funktioniert besonders gut gegenüber Menschen, bei denen das Schuld-Prinzip auf fruchtbaren Boden fällt. So wird die Lähmung unter Umständen verstärkt durch altbekannte Muster, die teilweise schon seit der Kindheit erlebt und gelernt sind. Dann läuft der immer gleiche Film ab.

Er kann jedoch beendet werden. Dabei geht es nicht um Abwehr, sondern um eine gleichzeitig einfühlsame und klare Abgrenzung. Die Kinder wollen ja in erster Linie die Mutter nicht verletzen, sondern das überkommene Ritual den veränderten Umständen anpassen. Sobald die gewohnte Abfolge aus Aktion – Reaktion geändert wird, besteht die Chance, den Teufelskreis zu durchbrechen. Eine Möglichkeit dafür wäre ein Dreischritt aus

  1. Beschreibung, was ist und geändert werden soll
  2. Begründen, warum es für einen selbst eine Änderung geben soll und
  3. Einem konkreten Vorschlag, der einen ersten Schritt in die gewünschte Richtung geht.

Dadurch geht es in der Auseinandersetzung nicht mehr darum, wer schuld an etwas hat, sondern was die Bedürfnisse der Beteiligten sind. Es ist falsche Rücksichtnahme, einander in der Opferrolle und dem Konzept der Schuld verharren zu lassen.

Es ist so bequem, unmündig zu sein.

Immanuel Kant (1724 – 1804, Philosoph)


2 Antworten zu “Weihnachten bringt die Familie wieder ein Opfer”

  1. Klingt super easy und hab ich sogar mit einer 2. „Leidtragenden“ zum 2
    Mal versucht. Es gibt aber in einer großen Familie immer 1-2 Personen, die – man höre und staune – im Enkelalter sind und auf Biegen und brechen keine Änderung wollen. Wirkt auf mich irgendwie wie eine Mischung aus Egotrip & Terror auf hohem Niveau

    • Vielleicht besteht ja die Chance auf eine kleine „Auszeit“ zwischendrin, um dem Egoterror wenigstens für einige Zeit zu entrinnen: der Verdauungsspaziergang, das kurze Nickerchen. Der Vorteil des Älterseins als die Enkelgeneration: „In meinem Alter brauche ich das …“ – ob es stimmt oder nicht – wird aber oft geglaubt.

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