Zeitlos am Ausgang der Pandemie


Am besten beschrieben ihr aktuelles Zeitgefühl die zerfließenden Uhren auf Salvador Dalis Gemälde, denn nichts bekam sie mehr so richtig zu fassen: Wochentage, Monate, welches Jahr haben wir? Die Pandemie hatte ihre innere Uhr weichgekocht. Wann würde diese Zeitlosigkeit enden?

In den letzten 14 Monaten wurden durch die Pandemie unsere alltäglichen Rahmenbedingungen verändert. Teilweise von heute auf morgen, ohne Zeit, sich auf den Übergang einzustellen, war Schule nicht mehr Schule, Arbeit nicht mehr pendeln, Freunde nicht mehr zu treffen. Kunst, Musik, Sport – kein Kurs war mehr möglich. All das führte bei manchen Menschen zu einem gestörten Zeitempfinden, denn Routinen fielen als haltgebende Orientierung weg.

Wochenrituale entfielen wie der sonntägliche Tanzkurs, freitags kegeln, dienstags Yoga, Chor am Donnerstag. Diese wiederkehrenden Ankerpunkte gaben eine Struktur, die oft durch den Wechsel aus Werktagen mit einem Weg zu außerhäusigen Arbeit und den freien Tagen mit Einkaufen und Freizeit verstärkt wurden. Nun aber waberten für viele Menschen die Tage nahezu unterschiedslos ineinander. Für viele, wenn auch nicht alle, blieb wenigstens das monatliche Ritual einer Gehaltsüberweisung erhalten.

Auch die gewohnten Abläufe innerhalb eines Tages wurden neu geformt. Für Eltern gab es dank „Homeschooling“ einen Crashkurs in Pädagogik, Vermittlung von Lehrstoff und IT-Support mit gleichzeitigem Turbolernen in Sachen Multitasking, Reorganisation und Voraussehen von neuen Corona-Verordnungen. Kurzarbeit oder erzwungenes komplettes Nicht-Tun in „100%iger Kurzarbeit“ brachten viele aus dem Konzept. Das Mitnehmen von Masken wurde zur Gewohnheit, Einkaufsplanung auf die größeren Bedarfe zu Hause zur Herausforderung und erholsamer Schlaf eine innig ersehnte Rarität.

In der Corona-Pandemie ist die Zeit nicht zu fassenHinzu kommt der unglückselige Corona-Maßnahmen-Dreisprung aus „Hoffen – Bangen – Enttäuschung“, wenn sich die angekündigte, die ersehnte Wiedereinsetzung von Grundrechten ein um das andere Mal verschoben wurde. Wer kann schon noch mitzählen, wie oft sie oder er „noch ein letztes Mal“ durchgehalten hat? Und noch einmal. Und noch mal. Auch das lässt Zeit haltlos erscheinen.

Wenigstens blieben die Jahreszeiten erhalten. Wir sahen das Ende des Winters, Frühjahr, Sommer, Herbst, Winter und nun ein beginnendes Frühjahr in der Natur. Was fehlte, waren die Feste, die damit verbunden sind. Seien es religiöse, kulturelle oder schlicht materielle: Osternächte, Frühlingsmärkte, Sommerfestivals, Weinfeste, Weihnachtsmärkte. Was früher ein „Must do“ war mutierte zum „Can’t do“.

Die Folge: manchen kam es vor, als flösse die Zeit durch sie hindurch. Welcher Wochentag ist heute nochmal? Wir haben schon Monatsende? In zwei Monaten ist schon Silvester? Oft hörte ich diese Fragen in Gesprächen und stellte sie mir zunehmend selbst. Mir schien, dass sich mein innerer Kalender vom äußeren, realen Kalender abgekoppelt hatte und eine Synchronisierung mühsam war.

Nun jedoch scheinen äußere Fixpunkte im Leben wieder erreichbar zu sein und sehr wahrscheinlich werden es manche alten Gewohnheiten nicht mehr in das „neue Jetzt“ schaffen, dafür haben sich neue Verhaltensweisen entwickelt, auf die so manche:r nicht mehr verzichten möchte. Alte Lieben, neue Entdeckungen, gibt es auch bei Gewohnheiten. So können wir die verlorengegangene Zeit wieder zu fassen bekommen.

Wer hat an der Uhr gedreht?
Ist es wirklich schon so spät?
Stimmt es,
dass es sein muss?
Ist für heute wirklich Schluss?

Heut ist nicht alle Tage, ich komm wieder keine Frage!

Schlusslied aus der Fernsehserie „Der rosarote Panther“


2 Antworten zu “Zeitlos am Ausgang der Pandemie”

  1. Lieber Kai, vor einigen Jahren hatte ich an einem „Schnupperkurs“ (oder Impuls-Abend??) Mit dir und Claudia Bollig teilgenommen. Seither (?) bekomme und lese ich deine Kolumne, jedes Mal gerne, jedes Mal eröffnet es eine interessante Perspektive, jedes Mal fühle ich mich bereichert! Das wollte ich dir nun auch mal mitteilen!!!

    Und dir herzlich danken!

    Viele Grüße

    Eva

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