Für manche war 2020 das schlechteste Jahr aller Zeiten, andere betonten immer wieder, wie besonders und einzigartig negativ das vergangene Jahr war. Vielen ist die Erleichterung anzumerken, dass 2020 endlich vorbei ist. Ungläubig werden diejenigen angeschaut, die sagen: „Für mich war es ein gutes Jahr“. Wie kann das sein?
Traditionell werden zum Jahreswechsel Rück- und Ausblicke gehalten: was war gut, was war nicht gut und was sind die Pläne für die kommenden Monate. Dabei kann ich zwei Brillen aufziehen: die Problembrille und die „So isses“-Brille. Es gibt Menschen, die haben eine gewisse Übung darin, durch die Problembrille zu schauen. Die tragen ständig einen Sack voller Probleme mit sich herum, sehen Grenzen (ein anderes Wort für Problem) und warnen vor Risiken (noch ein Synonym für Problem).
Das Wort „Problem“ entstand im 16. Jahrhundert mit der Bedeutung „Schwierigkeit, Aufgabe“ aus dem Griechischen „das Vorgelegte“. Sprachlich verwand ist die Parabel, ein Beispiel oder Gleichnis sowie die mathematische Beschreibung einer Kurve, bei der die Punkte aufsteigend und absteigend den gleichen Abstand zum Brennpunkt haben.
Vom ursprünglichen Wortsinn ist also keine negative Interpretation eines Problems vorgegeben, sondern es zeigt einen gegebenen Zustand an, der eines Umganges bedarf. Sprich: so isses und damit müssen wir jetzt leben.
Die Träger der „So isses“-Brille verweigern die von vornherein negative Interpretation einer Situation und erhalten sich dadurch die Freiheit, aktiv zu werden und das Geschick im besten Sinne zu beeinflussen. Freiheit – die wird weltweit hundertfach besungen im Lied „La Paloma“ (Die Taube). Übertragen auf die Parabelkurve bedeutet das: Ob ich bei einer gegebenen Situation meinen Blick nun nach links richte (rückwärts in die negative Problematisierung) oder nach rechts (vorwärts in die Zukunft) ist genau die gleiche Entfernung, eingesetzte Kraft oder zurückzulegender Weg.
Doch was meinen Menschen, die 2020 als „gutes“ Jahr beschreiben? Gut, das kann heißen: mutig gewesen, Neues entdeckt, Altes liebgewonnen, Veraltetes losgeworden, enger zusammengerückt, mehr verkraftet als für möglich gehalten. Wenn also jemand „gut“ sagt, lohnt es sich, zu fragen: „Was genau meinst Du damit?“ um so den ganzen Schatz an Erkenntnissen zu erfahren, die dieser Mensch gemacht hat. Denn statt einen Sack voller Probleme auf dem Rücken zu tragen folgen diese Menschen dem Symbol der Freiheit, der Taube.
Man sollte stets mit dem Besten rechnen – dann wird es sich von selbst einstellen.
Johann Friedrich von Allmen (Romanfigur von Martin Suter)
2 Antworten zu “2020 war das Jahr der Freiheit, nicht der Problemsäcke”
Glas halb leer oder halb voll? Ich bin immer für halb voll. Das löscht den Durst besser!
Vielen Dank, lieber Kai, für diese schöne Parabel von der Parabel. Ein anschauliches Bild und ein weiser Rat! So machen wir es auch in 2021!
Skål – danach ist leider jedes halbvolle Glas ein wenig leerer.