Gesegnet sei der volle Terminkalender


Die moderne Büroarbeit ist hybrid: eine wilde Mischung aus Tagen im Büro, Homeoffice, echten Meetings und Videokonferenzen. Und der Terminkalender kennt keine Lücken mehr. Wie kann da ein Ausstieg gelingen?

Erinnern Sie sich noch an die Zeit „vor Corona“? Das war jene sagenumwobene historische Epoche, als Büromenschen (so hieß das damals) das Zuhause verließen, um dicht gedrängt in Zügen oder über verstopfte Straßen zu einem mehr oder minder schlichten Gebäude zu fahren. Dort angekommen setzten sie sich auf einem leidlich ergonomischen Stuhl vor einen Tisch, starteten den Computer und begannen zu arbeiten. Viele, sehr viele, haben den Schreibtisch nie erreicht, weil sie gleich in sogenannte Besprechungsräume abbogen. Dort saßen sie an „Konferenztischen“ und stündlich wechselten sie den Raum, schnappten sich unterwegs einen frischen Kaffee oder Tee und ein paar Minuten später, ein paar Räume weiter, ging es weiter.

Dann kam Corona und viele Bürojobs wurden nach Hause verlagert. Es war eine Zeit der Entgrenzung: Der Besprechungsraum war der Küchentisch oder auch mal der Esstisch, manchmal nur ein Rechner auf dem Bügelbrett im Schlafzimmer. Termine und Besprechungen liefen ausschließlich digital und die Lernkurve für Videokonferenzen zeigte steil nach oben. Der Dienstkalender füllte sich pausenlos mit Teams-, Skype-, WebEx- oder Zoom-Einladungen. Von einem zum nächsten Termin wechselte es sich in zehn Sekunden. Das ging den ganzen Tag lang.

Wieder ein paar Monate später begann die hybride Phase, in der wir jetzt noch sind. Hybrid, so definiert es der Duden, ist „aus Verschiedenartigem zusammengesetzt, von zweierlei Herkunft, gemischt, zwitterhaft“. Was in der Küche oder der Kunst eine durchdachte Komposition ist, wurde im Arbeitsleben eine wilde Kreuzung von ehemals analoger Vor Ort-Arbeitswelt und neuer mobiler digitaler Arbeitswelt. Ein Teil der Arbeitenden sitzt zu Hause, ein anderer Teil im Büro und alle versuchen in pseudo-gemeinsamen Treffen die stetig wachsenden Aufgaben zu erledigen. Weil sich Termin an Termin reiht, schalten sich viele auf dem Arbeitsweg per Telefon auf die Meetings drauf. Andere schauen sich die Aufzeichnungen am Abend an, wenn die Kinder endlich im Bett sind und Ruhe im Zuhause einkehrt.

Ein voller Kalender mit persönlichen Freiräumen

Wenig überraschend fühlt sich ein Viertel aller Menschen in Deutschland häufig gestresst. Die Corona-Pandemie hat den langfristigen Trend, mehr Stress zu empfinden, verstärkt. Besonders die Kombination aus Homeoffice und Kind(ern) setzt den Menschen zu, Hauptauslöser ist die Arbeit. Mehr dazu in der Stressstudie 2021 der Techniker Krankenkasse ↗.

Viele klagen, dass sie wegen all der Meetings nicht zum Arbeiten kämen. Eine Besprechung ist also keine Arbeit? Natürlich ist sie das, doch es geht um das Vorbereiten, Nachbereiten und Abarbeiten. Aufgaben, die in einer solchen Sitzung verteilt werden, erledigen sich nicht durch Magie und mir ist noch nie eine Entscheidungsvorlage untergekommen, die aus dem Nichts durch das Schwingen eines Zauberstabes entstand. Das (Heim-)Büro ist schließlich nicht Hogwarts.

Auf der Strecke bleibt mittlerweile fast vollständig die Pause. Jene schöpferische Ruhephase, ohne die keine Ideen entstehen können. Auch was im Büro die beiläufigen Begegnungen an den berühmten Kaffeemaschinen sind oder der unvermeidliche Flurfunk ist, lässt sich digital nur bewusst organisieren. Organisch und zufällig wächst das virtuell einfach nicht.

Wie wäre es daher, den eigenen Kalender vorsorglich selbst zu blockieren bevor er fremdgesteuert vollläuft? Täglich ein, zwei, vielleicht gar drei Stunden, mal am Stück, mal aufgeteilt, wo Aufgabenerledigung, Nachdenken, Kreativität, Konzeptionierung, Recherche, soziale Kontakte zu Kolleg*innen etc. möglich sind? Ich habe das nun einige Wochen ausprobiert und ich habe das Gefühl, mehr Herr über meine Zeit zu sein. Für die jeweils kommenden zwei Wochen habe ich mir undefinierte Termine eingelegt, nur für mich. So kann ich viel besser steuern, an welchen Terminen ich überhaupt teilnehme, welche ich nur ausschnittsweise in der Aufzeichnung anschaue, bei welchen in höchstens das Protokoll lese. Wirklich wichtige Dinge habe ich noch nicht verpasst. Stattdessen bin ich besser vorbereitet in Sitzungen, bin weniger leicht reizbar und kann eine bessere Arbeitsqualität abliefern. Mir scheint fast, als hätte ich wieder Luft zum Atmen und Raum zum Denken.

Prof. Umbridge: „Ihr werdet den genehmigten Text jetzt vier Mal abschreiben, das sorgt für optimales Einprägen. Es besteht kein Grund zu reden.“

Hermine: „Und zu denken, das trifft’s eher.“

Aus „Harry Potter und der Orden des Phönix“, zitiert nach myzitate.de/hermine-granger


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