Was letzte Woche nach langer Diskussion vereinbart wurde, wird jetzt im Team schon wieder in Frage gestellt. Eine Pro-und-Contra Liste soll nun endlich Klarheit bringen, alle stöhnen. Wann, so fragte sie sich, entscheidet hier endlich mal jemand etwas?
Manche Führungskräfte tun sich schwer mit der Rolle der/des Führenden. Das könnte unangenehme Gespräche mit sich bringen, Entscheidungen müssten getroffen und durchgesetzt werden. Konflikte gehören zur Rolle des Chefs/der Chefin einfach dazu. Aber nicht alle Führungskräfte sehen Konflikte positiv, als Quelle für Kreativität, sondern haben Angst vor einer Konfrontation. Diese Menschen flüchten sich dann lieber in operative Details, wollen alles mit Abfragelisten kontrollieren oder sind nur sehr schwer zu erreichen.
Nicht nur in der Wirtschaft, auch im sozialen Bereich gibt es Angst vor Führung und die Scheu vor klaren Ansagen. Doch gerade Kinder brauchen zuverlässige Rahmen, in denen sie sich entwickeln können. Regelchaos wird hier fälschlicherweise „Laissez faire“ genannt, im Management-Sprech des Geschäftslebens „Supportive Leadership“. Beides beschreibt die Abwesenheit von aktiver Führung. Es fehlt an der (natürlichen) Autorität, die den Überblick bewahren und positiv ordnend eingreifen sollte. Am Ende herrscht Chaos, in der Organisation werden die Prozesse langsam und die Ergebnisse sind unausgegoren.
Die Folgen dieser Leerstelle für die Untergebenen, seien es nun Kinder, Jugendliche oder erwachsene Arbeitnehmer, sind gravierend: durch den Mangel an klaren Rahmenbedingungen wird alles auf der untersten Ebene diskutiert, ausgehandelt und zu oft nicht entschieden, zu wiederholt in Frage gestellt.
Führungskraft bedeutet kraftvoll führen. In modernen Unternehmen, die mit flachen Hierarchien werben, wird der Mangel an Führung geschickt verkleidet: „Ist es nicht großartig, wie viel Verantwortung Sie übernehmen dürfen?“ Und der Rückzug gilt als Tugend: „Meine Tür ist immer offen. Melden Sie sich, wenn Sie Fragen haben.“
So wird Verantwortung nach unten delegiert, die eigentlich ein, zwei, drei Hierarchie-Ebenen höher übernommen werden müsste. Denn nur dort ist auch die institutionelle Macht verankert, die zur Verantwortung untrennbar dazu gehört. Verantwortung ohne Einflussmöglichkeiten führt unweigerlich in ein Hamsterrad: Vergeblich versuchen Einzelkämpfer mit beschränktem Einfluss ein strukturelles Problem zu lösen. Es hilft nur die klare Zurückweisung: „Diese Verantwortung will ich nicht, die gehört zu Ihnen!“ Anderenfalls ist der Weg vom Burn-on zum Burn-out vorgezeichnet.
Führung bleibt eine Bringschuld. Kaufmännisch gesehen ist der Unterschied zwischen der Hol- und der Bringschuld der Ort der Leistungserbringung. Wo passiert die Leistung? Die Bringschuld der Führungskräfte ist längst nicht durch das Ausfüllen der Position erfüllt, sondern wird täglich neu abgefordert im Zusammenspiel mit den Mitarbeitern und den Aufgaben. Und hier gilt es, mehr zu zeigen, als nur die Tür zu öffnen.
Silke Strauß, Executive Coach & Consultant