Gefangen im eigenen Weltbild


Als seine Studienarbeit mit sieben Punkten bewertet wurde, war er nicht überrascht. Wusste er doch von vornherein, dass er in Mathe keine Leuchte war. Das war schon immer so gewesen und die 12 Punkte im Abitur Leistungskurs waren lediglich das eine Korn, das ein blindes Huhn auch mal findet. So war es schon immer und wird es immer sein. Aber müssen sich alle Selbstprophezeiungen erfüllen?

Unser Denken, Fühlen und Handeln ist gespeist aus der Summe all unserer Erfahrungen. Diese sind auf einer Art „innerer Landkarte“ verzeichnet. Dort gibt es attraktive Orte, quasi ein inneres Paris, Rom oder New York. Ebenso gibt es „No-Go-Areas“, dessen Besuch ich vermeide. Zwischen ihnen verlaufen Straßen und Wege, mal breit ausgebaut, mal holprige Pfade, selten benutzt. Entsprechend dieser Landkarte sind die Synapsen im Gehirn gewachsen – oder nicht gewachsen.

Meine eigene Weltsicht lasse ich mir nicht nehmenWenn ich der Meinung bin, dass ich keinen Orientierungssinn habe, ungeschickt oder unmusikalisch bin, interpretiere ich meine Leistungen auf diesen Gebieten überwiegend negativ. Anders herum geht das auch: halte ich mich für sportlich, attraktiv oder schlau, neige ich dazu, meine eigene Leistung positiv zu sehen.

Auch bei der Bewertung anderer Menschen nutzen wir die innere Landkarte. Bin ich davon überzeugt, dass der Finne an sich tückisch ist, werde ich jeden Finnen, der mir begegnet, genau mit dieser Brille betrachten.

In einer Zeit, in der personalisierter Medienkonsum großen Raum einnimmt, persönliche Begegnungen sogar verdrängt, laufe ich Gefahr, mein selbst geschaffenes Weltbild schneller zu verfestigen. Ich sehe und lese in meiner #Filterblase nur noch, wovon ich überzeugt bin. Einfach, weil ich es intensiver wahrnehme und auswähle.

Entwicklung ist jedoch nur möglich in einem Wechsel aus Konfrontation und Anpassung: kämpfe ich für meine Überzeugung oder passe ich mich der Umwelt an? Gibt es keine neuen Situationen mehr, die mich mit meiner Sicht auf die Welt konfrontieren, ist nur noch Anpassung da und keine Entwicklung möglich. Es ist eine Vermeidungsstrategie, die zum Stillstand führt. Die innere Landkarte schrumpft von einem Weltatlas zu einem Dorfplan. Das gilt für digitale Filter-Algorithmen genauso wie für persönliche Begegnungen.

Wenn Du nie Deine Meinung änderst, weshalb hast Du dann eine?

Dr. Edward de Bono (*1933, Britischer Mediziner, Psychologe und Autor)


Eine Antwort zu “Gefangen im eigenen Weltbild”

  1. Das ist so wahr wie interessant. Richard David Precht und Alexander Kluge, mein Lieblingswelterklärer,unterhalten sich ebenfalls darüber in der Sendung „Ratlose Menschen“. Denn wenn ich nur noch meinen Dorfplan vor mir sehe, verstehe ich die Welt dahinter nicht mehr und werde ratlos.
    Hier der Link zur ZDF-Mediathek:
    http://www.zdf.de/precht/precht-diskutiert-mit-alexander-kluge-ueber-die-komplexe-welt-ratlose-menschen-41878924.html

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