Es war eine besonders knifflige Stelle auf dem Weg nach oben. Ein Zurück war nicht mehr möglich und ihre Kräfte waren am Ende. Doch dann bekam sie von ihrem Partner eine sachte Unterstützung und so schaffte sie es auf das Felsplateau. Was lässt sich vom Klettern lernen, um Freunden beim Meistern auswegloser Situationen zu helfen?
Beim Bouldern klettern Menschen ohne Seil und Gurt an natürlichen Felsen oder an künstlichen Kletterwänden. Sie klettern dabei in der Regel nur so hoch, dass sie notfalls auch abspringen könnten. Doch auch hier gibt es Stellen, die eine scheinbar eine Sackgasse sind: der nächste Griffpunkt, sei es eine Felsspalte oder ein Vorsprung, kann nur mit den äußersten Fingerspitzen erreicht werden. Die Füße finden keinen neuen Halt, auch zur Seite ergibt sich kein Ausweg. Der Sprung nach unten birgt die Gefahr, sich an den rauen Felswänden zu verletzen.
Das klingt nach Umständen, wie sie auch im Berufs- oder Privatleben vorkommen können: Auf der Arbeit ist man im Team gefangen und eine Re-Organisation kappt die letzte Chance auf Weiterentwicklung. Oder in der Familie dreht sich eine Abwärtsspirale, weil die Kinder mit der Schule nicht zurechtkommen, aber ein Schulwechsel unmöglich ist.
Im oben genannten Beispiel half der Kletterpartner mit einer Drei-Punkte-Strategie weiter: Erklären – Vertrauen – Stützen.
- Anfangs erklärte er die Situation und die möglichen Optionen. Er hatte von unten, mit Abstand, mehr Überblick und konnte Wege zeigen, die die Kletternde nicht sah.
- Während ihre Kräfte schwanden, gab er ihr einen Vertrauensvorschuss. Weil er realistisch daran glaubte, dass sie den nächsten Schritt machen kann (und nur um den geht es – Schritt für Schritt, Griff für Griff geht es voran), sorgte er für einen kleinen emotionalen Energieschub. Statt auf direktem Weg über einen unüberwindlichen Berg geht es einfacher um ihn herum: Schritt für Schritt auf einer Serpentinenstraße ↗ jeweils nur bis zur nächsten Wendung. Und dann schaut man weiter.
- Schließlich stützte er sie mit seinen Händen: er umfasste oder hielt sie nicht, sondern legte einfach die Hand sachte an ihren Rücken. Über diese Geste wird bei der berührten Person das Hormon Oxytocin ausgeschüttet ↗. In der Folge sinkt der Stresspegel im Gehirn, Schmerzen werden weniger empfunden und Ängste verringern sich.
Diese kleinen Interventionen sind ein echter Freundschaftsdienst: sie lösen die innere Blockade und Verzweiflung auf, der weitere Weg wird frei. Unabhängig vom Geschlecht übrigens.
Gute Freunde reichen uns die Hand, aber gehen lassen sie uns selber.
Anke Maggauer-Kirsche (*1948, deutsche Lyrikerin und Aphoristikerin)