Alles so fremd hier im neuen Job


Nach dem Umzug war er seit ein paar Tagen in der neuen Firma und fremdelte noch sehr. Er konnte sich kaum die neuen Kollegen merken und zu Hause brachte er beim Erzählen alles durcheinander. Sein fünfjähriger Sohn hatte sich schon im Kindergarten eingelebt und beschrieb seine Spielkameraden so lebendig, als würden sie vor einem stehen. Wie schaffte der Steppke die Eingewöhnung nur so gut und er trotz all seiner Erfahrung nicht?

Lebendiges ErzählenWer in eine neue oder ungewohnte Umgebung kommt, ist orientierungslos. Die neuen Eindrücke werden daher systematisch nach Bekanntem untersucht und eingeordnet. Der Vater klassifiziert dabei die Menschen, denen er begegnet, nach Herkunft, Geschlecht und Funktionen; spricht von Namen, Titeln und Hierarchiestufen. Dabei bleiben die Persönlichkeiten merkwürdig blass. Der Sohn erzählt von dem Mädchen, das viel lacht oder dem mit den weichen Händen und vom Jungen, mit dem er viel Quatsch machen kann. Dass das eine Mädchen schwerst mehrfach behindert ist und das andere aus Nigeria stammt, der Junge kein Wort Deutsch spricht, ist ihm unwichtig. Das erfahren die Eltern erst beim Elternabend.

In weniger als einer Sekunde entscheiden wir, ob wir eine zuvor noch nie gesehene Person für vertrauenswürdig halten oder nicht – so die US-amerikanischen Psychologen Janine Willis und Alexander Todorov. Ohne dass er oder sie etwas sagen muss oder man seine bzw. ihre Stelle im Systemgefüge kennt. Der Gang fällt auf, die Stimme, die Haltung, der Gesichtsausdruck, eventuell der Händedruck – und das bestimmt den Zugang zum Anderen. Unbewusst leitet das mein Handeln, doch wenn ich mir Zeit nehme, in mir forsche, kann ich die Gründe für meine Sympathie bzw. Antipathie beschreiben.

Im Laufe des Erwachsenwerdens kann die Fähigkeit oder der Mut verloren gehen, diese prägenden Einflussfaktoren zu benennen und zu erzählen. Vielleicht nehme ich mir auch nicht mehr die Zeit für das Nachforschen. Und so kann es passieren, dass ich einen wichtigen Teil des Zugangs zum mir Fremden ungenutzt lasse.

Ich freue mich über jede neue Entdeckung, auch wenn sie meine Theorie widerlegt.

Albert Einstein (1879 – 1955, Physiker)


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