Als er vor versammelter Mannschaft von seinem Chef zusammengefaltet wurde, fiel er aus allen Wolken. Dabei hatten sie erst gestern Abend einen feucht-fröhlichen Bierzeltbesuch verbracht und sich als Zechbrüder das Taxi nach Hause geteilt. So wie damals, in den alten Zeiten mit seinen besten Kumpels. Und nun das! Was hatte er bloß getan?
Der Herbst ist da und mit ihm das Oktoberfest. Es hat sich von München aus in jeden Winkel der Republik ausgebreitet und lädt hier wie dort zu Firmenpartys ein. Auch die Weinfeste locken auf einen oder mehrere Absacker. Nur wenige Wochen später folgen die Weihnachtsfeiern und dann im Januar die Kick-Offs für das neue Geschäftsjahr. Viele Gelegenheiten also, sich auch hierarchieübergreifend zu befreunden. So wie man besser Wein und Bier nicht mischt, sollte auch bei der Vermischung von Rollen Vorsicht geboten sein.
In der Firma (oder der Behörde) gibt es verschiedene Rollen. Kollegen auf der gleichen hierarchischen Ebene teilen sich die gleiche Rolle und untereinander gibt es wenige Abhängigkeiten. Doch bereits mit dem Mentorship, also der väterlichen/mütterlichen Rolle der Begleitung neuer Kollegen kommt es zu einer leichten Schieflage. Hier: die erfahrene Person, oft im Organigramm höher aufgehängt; dort: der Newbie (Frischling), noch nicht eingeführt in die Sitten und Gebräuche jenseits der offiziellen Wege. Noch weniger auf gemeinsamer Augenhöhe sind Vorgesetzte und ihre Untergebenen (auch wenn sie heute gemeinsam ein „Team“ bilden) denn letztendlich hat einer mehr zu sagen als andere. Beim feucht-fröhlichen Bier- oder Weinfestfeiern verschwimmen diese Rollen wie die Konsonanten mit zunehmendem Alkoholpegel und man redet mal so richtig „von Mann zu Mann“ oder „unter uns Betschwestern“, ganz privat also.
Private Kontakte sind dagegen grundsätzlich auf Augenhöhe. Das beißt sich dann mit der Rolle als Mentor oder Chef. Es mag sogenannte Frollegen geben, also befreundete Kollegen, aber von Frentoren oder Frogesetzten habe ich noch nie gehört. Es ist schwierig, die private von der hierarchischen Ebene zu trennen: Abends noch fröhlich gefeiert und am nächsten Tag gibt eine Person der anderen Anweisungen? Da kommt es leicht zu unklarem Rollenverhalten, man setzt sich den Gerüchten einer Vorteilsnahme oder –gewährung aus („Schau Dir diese Schleimerin an!“, „Das ist sein Liebling, da kannste nix machen“). Um das zu vermeiden, greifen manche daher zur Methode „Harter Hund“ und zeigen übertrieben deutlich, dass noch so viele Promille am Vorabend die Rangordnung nicht außer Kraft setzen.
Wer sich dem entziehen will, muss jetzt nicht die kühle Blonde aus dem Norden oder den Feldwebel mimen. Mann/frau kann auch offen und freundlich klare Grenzen ziehen. Der Boden der Begegnung ist ausschließlich das Firmenumfeld und nicht das Wirtshaus. Wer allerdings in einem Beratungs- oder Tech-Unternehmen arbeitet, das seine Leute mit dem Dreisatz aus „Arbeit = Leidenschaft = Freundschaft“ in einen Mikrokosmos aus Firmenwohnung, Firmensport und Firmenveranstaltungen einspinnt, hat das sehr schwer. Doch mag die langfristige Perspektive helfen, den eigenen Weg zu finden. Denn verlässt man die Firma (das Netz), hat man unter Umständen „draußen“ keine Freunde mehr.
So versucht der kluge Führer nicht, sich mit allen Verfügbaren zu verbünden, und er fordert nicht offen die Macht anderer Staaten heraus. Er verfolgt aber seine eigenen geheimen Pläne und achtet sorgfältig darauf, dass seine Gegner ihn stets fürchten.
Sūnzǐ (544 – 496 v. Chr., chinesischer General, Militärstratege und Philosoph)
2 Antworten zu “Mein Mentor. Mein Chef. Mein Freund?”
Vielleicht hängt es von der Unternehmenskultur ab, wie verbunden Vorgesetzte und Mitarbeiter sein können. Ich vermute: je kleiner und idealistischer in der Zielsetzung – desto näher. Je größer und kapitalistischer im Herzen – desto ferner und gierarchisch das Verhalten (bemerkenswerter Tippfehler übrigens, meinte: hierarchisch).
Als Froh-Gesetzte habe ich es stets vermieden, geheime Pläne gegen meine Mitarbeiterinnen zu verfolgen, und ich halte auch nichts davon, sich als Chef zum »gefürchteten Gegner« zu machen: Das ausgewählte Zitat finde ich diesmal ganz und gar unpassend.
Wer die anderen neben sich klein macht, ist nie groß.
Johann Gottfried Seume