Nettsein hilft nicht weiter


Angefangen hat alles mit harmlosen Komplimenten, doch nach einigen Einkäufen fühlte sich die Hosenverkäuferin in der Gegenwart dieses Kunden immer unwohler. Er rückte ihr bei jedem Besuch mehr auf die Pelle. „Hab‘ Dich nicht so, er ist schließlich Kunde“, sagte ihr Chef. Doch wie konnte sie sich wehren?

Immer wieder kommen Frauen (und manchmal auch Männer) in die Überrumpelungs-Situation, dass ihnen ein Mensch zu nahe kommt, sie sich bedrängt fühlen und sie ihre Grenzen nicht verteidigen können. Was nur nett gemeint warMachtstrukturen begünstigen dies: auf der einen Seite der Gast / Kunde / Patient / Chef, auf der anderen Seite die Bedienung / Verkäuferin / Pflegekraft / Mitarbeiterin. Da soll professionelle Freundlichkeit gewahrt werden, um den potentiellen Geldbringer für das Geschäft nicht zu verprellen.

Was nur nett gemeint warDiese Freundlichkeit wird vom Gegenüber falsch interpretiert und auf sich persönlich bezogen. Statt „Ich werde hier freundlich bedient“ findet die Übersetzung „Sie hat Interesse an mir / Sie will was von mir“ statt. Dabei sind Komplimente nur die Vorspeise. In dem Menü folgen noch ein paar Gänge:

Das Machtgefälle zwischen der angreifenden und der angegriffenen Person wird durch die Ignoranz des Umfeldes verstärkt. Kollegen, Vorgesetzte, andere Kunden schauen weg, mischen sich nicht ein und so steht ein Mensch inmitten von anderen plötzlich alleine da und muss sich der Willkür erwehren mit all der anerzogenen Freundlichkeit, die als Abwehr einfach nicht taugt.

Alleine sind alle Menschen machtlos

Eine Lehre aus der Tanzstunde kann hilfreich sein: die Tänzer haben jeweils ihren eigenen Tanzbereich. Mein Tanzbereich vs. Dein TanzbereichWeil bei den Tanzfiguren klare Regeln die Schrittfolge vorgeben, können sich die beiden Tänzer sicher sein, dass die jeweilige Autonomie gewahrt wird und trotzdem etwas Gemeinsames gelingt. Respektiert mein Gegenüber nicht meine Grenzen, ist es ein schlechter Tanzpartner und statt harmonischer Figuren wird ein Gestolper auf das Parkett gelegt.

Übertragen auf Restaurants / Geschäfte / Krankenhäuser oder Unternehmen heißt das: Essen / Einkäufe / Behandlungen / Projekte gelingen nur, wenn die jeweiligen (Tanz-)Bereiche respektiert werden. Passiert dies nicht und eine Person ist übergriffig, ist klare Abwehr angesagt. Krallen ausfahren statt Nett-sein:

Nicht nur die Katze kann Zähne zeigen

  1. Wechsel vom „Du“ zum „Sie“ schafft Distanz
  2. Körpersprache: einen Schritt zurück treten oder einen Gegenstand zwischen sich und das Gegenüber bringen
  3. Klarer Blick signalisiert dem Gegenüber: „Ich nehme wahr, was hier geplant ist“
  4. Aussprechen von Grenzen um Klarheit über Erlaubtes und Nicht-Erlaubtes zu schaffen
  5. Sanktionen bei Grenzüberschreitung nicht nur androhen, sondern durchführen.

Klare Aussage, deutliche AbwehrIm Bekleidungsfachgeschäft könnte es zum Beispiel so aussehen: „Sie können gerne diese Hose in der Umkleidekabine anprobieren. Wenn Sie ihre Hände nicht bei sich lassen können, müssen Sie die Hose bei einer Änderungsschneiderei abstecken lassen.“

Neulich an der Tankstelle: „Testosteron. Bleifrei. Volltanken.“

Robert Mankoff (* 1.5.1944, US-amerikanischer Cartoonist und Autor)


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