Er knallte den Rollator gegen die Tür der Bäckerei. Diese blöden Automatikdinger gehen einfach zu langsam auf. Und noch langsamer ist die Bedienung hinter der Theke. Er hatte nur noch wenig Zeit zum Leben und die wollte er nicht mit unsinnigem Warten verbringen. Können das die jungen Dinger nicht endlich kapieren?
Uns Menschen treiben viele unterschiedliche Bedürfnisse an. Deren Befriedigung ist nicht immer einfach, denn zu oft stehen sie in Widerspruch zueinander. Das Bedürfnis nach Freiheit und das nach Sicherheit sind genauso Antagonisten (Gegenspieler) wie die nach Nähe und Distanz. Ihre Befriedigung steuert unser Handeln. Manchmal erscheinen wir dadurch sprunghaft („Aber vorhin wolltest Du doch noch …“), aber alles in allem sind wir ein Leben lang bemüht, halbwegs einen ausgleichenden Mittelweg zwischen unterschiedlichen Bedürfnisse zu finden, um sozial verträglich zu sein.
Doch seien wir ehrlich: das ist oft genug alles andere als einfach und anstrengend ist es auch. Wie schön wäre es, einfach mal heulend in der Ecke zu sitzen und die ganze Verzweiflung rauszulassen, die uns durch Job, Familie oder wirtschaftliche Zwänge manchmal ergreift. Stattdessen werden die Zähne zusammengebissen und wir machen weiter im Takt. Vielleicht sind wir so gut erzogen, dass wir freiwillig unsere Macht begrenzen, die wir durch Herkunft, Stellung oder Körperbau über andere haben. Und heimlich schauen wir Hau-drauf Filme mit Silvester Stallone, Jean-Claude Van Damme oder Clint Eastwood. Die bleiben immer cool, rächen sich und andere und erledigen die Idioten aller Länder mit links.
Es kommen jedoch Zeiten, in denen unsere Kräfte schwinden und so eine Grundtendenz in uns die Oberhand gewinnt, die schon immer da war, jedoch durch Erziehung, Kultur und puren Willen in ihrem Wirken eingeschränkt wurde. Bin ich ein grundsätzlich misstrauischer Typ kommt das Misstrauen in „schwachen“ Zeiten ungebremst zur Geltung. Oder meine Angst wird raumfüllend, wenn ich erschöpft bin. Scheinbar treten als negativ empfundene Eigenschaften dann besonders stark hervor, wenn wir am Ende unserer Kraft sind.
In jungen Jahren, also alles vor ±75, sind das oft nur Phasen oder vorübergehende Krisen. Im Alter hingegen kommt wohl unweigerlich unser wahrer Kern zum Vorschein. Wie zum Beispiel Eifersucht und lang unterdrückte Konflikte mit Verwandten und Freunden brechen auf. Nicht umsonst ist ein beliebtes Krimithema die Frage nach dem letzten Testament des/der Verstorbenen: wer wurde kurzfristig enterbt, wer unverhofft bedacht? Ängstliche Menschen werden zu wahren Schwarzmalern und herrschsüchtige Tyrannen können noch vom Sterbebett aus Angst und Schrecken verbreiten.
Wie will ich im Alter sein? Diese Frage stelle ich mir seit geraumer Zeit und ich möchte fröhlich, frech, neugierig sein. Ein bisschen so wie Matta und Lisbeth, die Kunstfiguren des Kabarettduos Missfits. Diese Eigenschaften sollte ich jetzt besser mal pflegen, nähren und stärken. Denn eines Tages kann ich das nicht mehr im Zaum halten, was auch in mir ist: genervt, eigenbrötlerisch, stur. Wunderbare Eigenschaften im Berufsleben, wenn es um In-Frage-stellen des Status quo geht, um Durchhalten und Vorantreiben. Als „alter Sack“ wäre ich damit allerdings schlichtweg unerträglich, vor allem für mich selbst.
Wennze meins du hätts noch Zeit
datte so viel Zeit vertun kanns
bisse bekloppt
dat is nich wahr
du hasset eilig
wennze tot bis isset vorbei
und vorm sterben musse leben
und dann musse au ma fragen
oppe happy… bis
Das Wennze meins Lied, Missfits (Melodie: Father and Son, Cat Stevens)