Er blökte seine Frau an, war motzig zu den Kindern und der Hund verkroch sich schon unters Bett. Er hatte einfach eine unerträgliche Laune. Am liebsten hätte er sich jedoch die Bettdecke über den Kopf gezogen und wie früher richtig losgeheult. Doch was würde seine Familie dann von bloß von ihm denken?
Es gibt im Leben immer wieder Situationen, in denen wir unsere wahren Gefühle nicht offenbaren. Sei es, weil wir sie nicht zeigen wollen. Sei es, weil wir sie nicht zu fassen bekommen. Nicht nur, aber besonders außerhalb einer geschützten wohlmeinenden Lebenswelt, unterliegen Gefühle auch immer einer wertenden Interpretation: werden da gerade akzeptierte, Stärke vermittelnde Gefühle gezeigt oder sind es verachtete, Schwäche ausdrückende Gefühle? Dies gilt zum Beispiel für das Gefühlspaar Wut und Trauer.
Manchmal ist einem vielleicht zum Heulen zumute, doch wie sähe das denn jetzt aus: hier vor mir selbst und auch allen anderen die Tränen fließen zu lassen? Das verächtliche Geschnatter ist doch schon förmlich zu hören: „Guck Dir diese Heulsuse an!“ oder „So ein Schlappschwanz, flennt hier rum!“ Dieses Bild will doch wirklich keine/r von sich haben. Wut dagegen hat eine ganz andere Reputation: „Da wurde aber mal so richtig Klartext geredet!“ oder „Richtig so, das würde ich mir auch nicht bieten lassen!“
Dort: minderwertiges leises Weichei, hier: potenter lauter Actionheld. Nicht umsonst spielen „Last man standing“-Filme mehr an der Kinokasse ein als sensible Dramen. Schließlich schauen viele Leute gerne zu, wenn einer – oft ein Mann – auf sich alleine gestellt, sich gegen alle wehrt, aufräumt und am Ende damit sich selbst gerettet hat. Bruce Willis, Silvester Stallone und Clint Eastwood wurden sehr reich, weil sich Millionen mit ihren Rächer-Rollen identifizierten. Dutzende Tote werden dabei als Kollateralschaden verbucht.
Wut ist ein Gefühl, das schnell an der Oberfläche ist und erst, wenn Ruhe einkehrt, macht sich die zugrundeliegende Traurigkeit bemerkbar. Die Arbeit überfordert komplett? Zu Hause wächst mir alles über den Kopf? Da ist ein Gegenangriff oft die erste Wahl. Übrigens für Männer wie für Frauen.
Wie ließe sich besser, schneller an den Kern dessen herankommen, was gerade in mir los ist?
In einem Coaching hörte ich von diesem Trick: immer ein paar alte hässliche Tassen zu viel im Schrank haben. Wenn es dann so richtig in einer/m brodelt, eine dieser Tassen mit viel Schwung auf den Küchenboden knallen, so dass beim Zerbersten das Klirren in den Ohren weh tut. Das wäre sehr reinigend. Nichts Wertvolles würde kaputt gehen, niemand würde verletzt und der Gefühlsüberschwang hätte einen Kanal gefunden, alles Aufgestaute abzulassen. Nach dieser Entlastung ließe sich viel einfacher an den Kern der ganzen Sache rankommen.
Ich persönlich kann mich gut an die eine oder andere Situation erinnern, wo ein kultivierter Knall für Erschrecken und Besinnung gesorgt hat. Auf lange Sicht wäre es natürlich ideal, die eigene Traurigkeit spüren und zeigen zu können, doch vielleicht braucht es bis dahin eine Tasse voll Wut als Zwischenetappe. Es muss ja nicht gleich Tote geben:
Hasta la vista baby!
Arnold Schwarzenegger im Film „Terminator 2 – Tag der Abrechnung“