Von Frederick der Maus lernen


Kürbisse an jeder Ecke, die Weihnachtsdeko in den Schaufenstern und die nahende Zeitumstellung zeigten ihm an: es geht zu Ende mit dem Sommer. Doch wie konnte er sich gegen einen deprimierenden Winter wappnen?

Alle Felder sind abgeerntet und fast scheint es, als ob der „Schnitter allen Lebens“ (so eine poetische Beschreibung des Todes) wie die Ähren auf dem Feld das fröhliche Ich mit seiner Sense schneidet. Nur wenige Menschen finden den November den schönsten Monat des Jahres, perfekt für einen Tag zu Hause auf dem Sofa oder einem Spaziergang durch feuchte Felder und Wälder. Auch Venedig soll im November einen besonderen, weil morbiden, Charme haben. Viele Menschen fallen dagegen nach den Monaten von Wärme und Licht in sich zusammen, wenn die Nächte länger als die Tage sind. Spätestens mit dem Ende der Sommerzeit droht eine grundlegende Betrübnis.

Im Kinderbuch „Frederick“ von Leo Lionni sitzt während des gesamten Herbstes scheinbar faul und untätig eine Feldmaus herum, während alle anderen Mäuse fleißig Vorräte für den Winter sammeln. Als er gefragt wird, warum er nicht mithelfen würde, sagt Frederick, dass er auch Vorräte sammelte, nämlich Sonnenstrahlen, Farben und Wörter. Im Winter leben die Feldmäuse dann eine Zeit lang gut von den Vorräten, doch als die aufgebraucht sind, ist noch lange nicht Frühling. Nun solle doch Frederick seine Vorräte hergeben. Und so erzählt er ihnen von der Sonne, die auch als Erinnerung noch wärmt. Von Farben, die im Winter so rar sind und die Worte werden zu einem Gedicht. Frederick hilft den Feldmäusen so, den Winter zu überstehen. Denn so wie der Mensch leben auch Feldmäuse nicht vom Brot allein.

Einnerungen an den Sommer sammelnAn diesem kleinen Frederick haben wir uns ein Beispiel genommen und so sammeln meine Frau und ich jeden Sonntag Sonnenstrahlen, Farben und Worte in Form von Sonntagsausflügen. Allesamt in der nahen Umgebung, raus in die Parks und Gärten oder den Grüngürtel rund um Frankfurt. Manchmal ganz offen, manchmal ganz heimlich mache ich ein Foto mit dem Handy, aus dem dann eine Postkarte wird. Diese kommt im Lauf der Woche zu Hause an und erinnert uns in der dann schon vollen Arbeitswoche daran, wo wir am Sonntag waren. Ein Seufzer, ein „Ach ja, das war schön!“ löst Wärme in uns aus und lässt graue Arbeitstage bunter erscheinen.

Die Karten finden überall ihren Platz, mal aufgereiht, mal auf einem Stapel, mal als Lesezeichen und so stolpern wir manchmal Monate später darüber, wo wir im Frühling waren (und es schon längst vergessen hatten). In der ersten Corona-Zeit haben wir damit angefangen und es seitdem als eine wertvolle Tradition beibehalten. Damit können wir sogar über Dieter Hildebrand lachen:

Wenn du und das Laub wird älter,
und du merkst, die Luft wird kälter,
und du fiehlst, daß du bald sterbst,
dann is Herbst.

Dieter Hildebrandt: Schlesischer Jahreszeiten-Zyklus


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