„Entschuldigung, ich hab‘ mal ’ne Frage“ – von der Seite werde ich um einen Euro angequatscht. Das kann ich überhaupt nicht abhaben, wenn ich in Eile bin. Doch was der Bettler mir dann erzählte, ließ mich mit neuen Augen den Menschen in ihm sehen.
Die unterirdische S-Bahnstation ist ein Ort, an dem ich mich am liebsten in mich zurückziehe. Umso mehr rollte ich die Augen, als ich von dem Typen angebettelt wurde. „Was soll’s“, dachte ich und kramte einen Euro raus. „Die hätte ich auch gerne“ hörte ich es neben mir mit einem halben Ohr. „Die hätte doch jeder gerne!“ Irritiert blickte ich mich um. Jetzt erst sah ich, worum es ging. Im Hintergrund lief eine Lottowerbung auf dem Bahnsteigbildschirm. Jackpot: 36 Millionen Euro.
„Das ist schon eine ganze Menge Geld“ antwortete ich kurz angebunden.
„Aber das Geld kann man ja leider nicht mit ins Grab nehmen“ kam es zurück.
Ich: „Doch davor kann man sich damit ein schönes Leben machen.“
„Ja, anlegen und von den Zinsen leben. Und ich wüsste schon, wem ich das Geld geben würde.“
Ich wurde aufmerksam.
„Meinem Patenkind, der ist drei. Da würde ich sofort fünf Millionen auf ein Sparbuch tun“, sagte der Mann lächelnd. „Und dann könnte er mit 18 schön von den Zinsen leben.“
In dem Moment fuhr meine S-Bahn ein und ich musste weg, ohne ihm noch einen Dank mit auf den Weg geben zu können. Denn ich habe die Großzügigkeit, Würde und Lebensfreude nicht in dem Mann gesehen, der mich schräg von der Seite auf einen Euro anhaute.
„ Nehmen Sie die Tatsache wahr, dass Sie voreingenommen sind?“
Jiddu Krishnamurti (1895–1986), indischer Autor und spiritueller Lehrer