Gefühlt wäre er bei jeder Dopingkontrolle auffällig geworden, war er im Büro doch bis in die Haarspitzen mit Adrenalin vollgepumpt. Denn es tobte ein Krieg: sowohl in seinem eigenen Bereich als auch mit anderen Abteilungen. Diese ständige Kampfbereitschaft machte ihn fertig. Verließ er „den Laden“, dann fiel er in sich zusammen: Seit Wochen schon schwächelte er im Krafttraining, war zu Hause zur Sofakartoffel geworden und seine Frau hatte auch nicht mehr viel von ihm. Dringend brauchte er eine Zeit der Abstinenz. Seit Aschermittwoch nun fastet er Adrenalin – mit ersten Erfolgen in Sachen Resilienz.
Konflikte sind Ausnahmesituationen, in denen evolutionäre Automatikprogramme ablaufen: der Körper passt sich an die Gefahren an und um maximale Muskelenergie zu Kampf oder Flucht bereit zu haben, wird Adrenalin ausgeschüttet. Gleichzeit fokussiert sich die Wahrnehmung auf den Gegner, manche sprechen von einem „Tunnelblick“. Typisch ist auch das „zusammenrotten“, um gemeinsam stärker gegen den Feind zu sein. Da wird in der Mittagspause gelästert, was das Zeug hält. Jede an sich noch so belanglose Geste, jeder Blick und jedes Wort werden quasi auf die Goldwaage gelegt und immer fällt das Urteil gleich aus: „Das geht ja gar nicht! Unerhört!“
Ach, wie entlastend wirkt das Verbünden und Lästern auf den ersten Blick, wird man doch scheinbar seinen Ärger mit Worten los, ohne gleich handgreiflich zu werden. Doch das Lästern hat eine ungewollte Nebenwirkung: die Situation wird in allen Details noch mal lebendig und schon geht er wieder los: der Konflikt, der Kampf, der Bürokrieg und das Adrenalin fließt wieder durch die Adern.
Ein erster Schritt könnte es sein, auf das Lästern zu verzichten und stattdessen eine möglichst neutrale Beobachtung zu beschreiben. Statt „Wie der mich anschaut, kann der mich nicht leiden!“ könnte man sich denken „Der Chef kräuselte die Stirn“. Das bringt zweierlei: erstens kann ich meine Interpretation von der Tatsache trennen. Zweitens werde ich widerstandsfähiger gegen Stress auslösende Interpretationen, um so aus dem Teufelskreis der gewaltvollen Kommunikation auszusteigen. In einem nächsten Schritt könnte ich gar überlegen, welche Gründe es noch für die gekräuselte Chefstirn gäbe. Denn er macht das nicht ohne guten Grund. Und wenn es nur ist, dass er gerade eine Migräneattacke niederkämpft.
Tue zehn Jahre lang Gutes
und niemand wird es bemerken.
Eine Stunde lang Böses getan
und Ruhm ist Dir gewiss.
Samurai-Weisheit