Von der Krux, Eltern im Alter zu beraten


Nach der letzten Operation verließ der Vater nicht mehr das Haus und die Mutter opferte sich freiwillig in der Pflege ihres Mannes auf. Wofür ist man schließlich über 50 Jahre miteinander verheiratet! Der Sohn redete sich den Mund fusselig, dass jetzt ein Pflegedienst kommen müsse. Erst als die Apothekerin zur Unterstützung riet, wurden die Eltern aktiv. Der Sohn war verletzt – warum hatten seine Eltern nicht auf ihn gehört?

Mit zunehmendem Alter scheint die Opferrolle eine größere Attraktivität zu gewinnen. Der Mensch hat jahrzehntelang viel geleistet und wird nun nicht mehr so behandelt, wie er sich das wünscht und erwartet. Er fühlt sich als Opfer gleich von zwei Tätern. Zum Einen von den Krankheiten und Gebrechen, die wie eine Heimsuchung über einen herfallen und zum Anderen von den Ärzten, die weder richtig behandeln können noch wirklich Verständnis haben für seine Situation.

Die Herzensverbindung zum Kind behindert das ZuhörenZwischen diese Fronten gerät der Sohn und ist gefangen in der Doppelrolle als Berater und Kind. Denn auch wenn Eltern altern bleibt das Kind Kind. Obwohl der Sohn schon lange arbeitet, seine eigene Familie gegründet hat und gut und gerne 90 Kilogramm auf die Waage bringt, sehen die Eltern in ihm immer auch den kleinen blonden sommersprossigen Kerl, der mit der buntgestreiften Badehose jeden Sommer in Nachbars Planschbecken badete. Wie ernst kann man etwas nehmen, was so ein Dreikäsehoch erzählt? Und dieser kleine Junge ist auch im Sohn immer noch lebendig: wie kann ich meinen Eltern auf Augenhöhe begegnen, wo in mir diese wohlige Erinnerung an die Sommer meiner Kindheit lebendig ist?

Das führt zu einem Drama-Dreieck Eltern-Ärzte-Kind mit klar verteilten Rollen: die Eltern sind Opfer, die Ärzte sind Täter und keiner versteht den anderen. Das Kind will helfend vermitteln und der Retter der Eltern sein. Doch die persönliche Verstrickung mit den Menschen, die ein Leben lang für einen da waren, verhindert, dass das Kinder Gehör findet. Antworten wie „Ach mein Kind, ich mach das doch gerne“ oder „Das bringt doch nix!“ ersticken jeden Lösungsansatz von Anfang an. Würde der Sohn Gehör finden, müssten die Eltern sich eingestehen, dass die Rollen sich vertauscht haben und sie heute diejenigen sind, die beschützt werden müssen.

Die Apothekerin ist nicht Teil des Drama-Dreiecks und der Familiengeschichte. Ohne tiefe Herzensbindung basiert ihr Kontakt viel stärker auf dem Verstand und dem Austausch von Sachinformationen. Statt die Aussagen des Sohns als die des eigenen Kindes zu hören, können die Eltern die Empfehlung der Apothekerin als das hören, was sie ist: als einen notwendigen Schritt, der jetzt ansteht.

Jetzt sind die guten alten Zeiten, nach denen wir uns in zehn Jahren zurücksehnen.

Sir Peter Alexander Baron von Ustinov (1921 – 2004, britischer Schauspieler, Schriftsteller und Regisseur)


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