Von der toxischen Sucht, ein Ziel zu erreichen


In jedem Problem steckt eine Chance war ihr Motto. So hatte sie es geschafft, trotz aller widrigen Umstände als erste in der Familie zu studieren, eine Wohnung zu kaufen und so wollte sie auch die Pandemie zu ihrem persönlichen Durchhalte-Erfolg machen. Schließlich erreichte sie immer ihre Ziele. Doch wie passt da nun ihr aktueller Aufenthalt in der Burnout-Klinik hinein?

Karrieremenschen, Sparfüchse, Optimisten, Eigenständige und Lebenshungrige haben eines gemeinsam: Sie alle können weit über das Ziel hinausschießen, das sie ursprünglich erreichen wollten. Denn immer wieder passiert es, dass ein Ziel zum Selbstzweck wird. Dann geht es nicht mehr darum, eine besondere Herausforderung oder ein zugrundeliegendes Problem zu lösen, sondern nur noch, eine einmal gesetzte Marke zu erreichen und danach immer wieder neu zu übertreffen.

Statt nur genügend Geld für ein auskömmliches Leben zu verdienen, geht es dann um die ersten 50.000, 100.000 oder 500.000 Euro auf dem Konto. Und danach um die nächste Stufe, die nächste Zahl. Das ursprüngliche Ziel ist vergessen, so dass selbst unermesslich reiche Menschen immer weiter Geld ansammeln. Nicht nur mit der Gier funktioniert das, sondern auch mit dem Geiz: Pfennigfuchser sparen immer noch mehr (Geld, Strom, Wasser, …) bis hin zur lebensfeindlichen Askese.

Wer nun glaubt, dass nur Perfektionisten der krankmachenden Zielverherrlichung frönen, sollte sich nicht zu sicher wähnen. Alle Menschen können Sklaven ihrer selbst werden. Wechselhafte Menschen, die vieles anfangen ohne etwas zu Ende zu bringen, haben den Wunsch, nichts zu verpassen. Sie wollen jede Gelegenheit zu nutzen, etwas noch Attraktiveres finden. Das Gras scheint auf der anderen Seite des Zaunes noch grüner zu sein und so wird von Weide zu Weide galoppiert.

Sich selbst wie ein Teufel von Ziel zu Ziel treiben

Menschen, denen besonders an Harmonie gelegen ist, kümmern sich um die Bedürfnisse von anderen bis hin zur Selbstaufgabe. Oft ist das den Geholfenen selbst schon zu viel Unterstützung, doch davon lassen sich selbstermächtigte Samariter nicht abhalten. Menschen, die viel Zeit für sich brauchen, können bis hin zur Grantigkeit auf eigene Freiräume bestehen. Bis schließlich der Schutz der Privatsphäre zu einem Haus der Einsamkeit wird.

Auch Optimisten können über das Ziel hinausschießen. Sich auf die Chancen zu konzentrieren, kann zum Handeln motivieren. Doch weil sie die Realität ausblenden, fordern Zwangsoptimisten auch von Verzweifelten „Erkenne, wie gut Du es doch hast!“ Mit klassischen Ablenkungsmanövern werden Zusammenhänge zwischen Dingen hergestellt, die nichts miteinander zu tun haben. Das wird auch „What aboutism“ genannt. „What about“ meint: „Und was ist mit …?“ Beispiel: „Und was ist mit den Menschen im Jemen? Denen geht es doch viel schlechter als Dir.“ Dabei hat der Bürgerkrieg am Horn von Afrika nichts mit meiner persönlichen Notlage zu tun. Oder Kinder, die früher ihren Spinat nicht essen wollten, bekamen die hungernden Altersgenossen in Biafra vorgehalten. Das sind aus meiner Sicht sinnlose Totschlagsargumente.

All diesen übersteigerten Zielverfolgungen liegt ein guter Kern zugrunde, der einmal Auslöser und Motivator für Handlungen war. Dem Kern fehlt dann jedoch eine bremsende, ausgleichende Gegenmotivation. Es ist wie mit jedem Wirkstoff: in geringer Konzentration können sie eine gute Medizin sein. Im Übermaß verabreicht wirken sie wie ein tödliches Gift.

Ein Beispiel: Eine Person, die braun werden will, verbrennt ihre Haut, wenn sie nicht hin und wieder in den Schatten geht. Sie muss das Sonnenbad unterbrechen, damit sie gesund bleibt und nicht an Hautkrebs leiden wird. Wandelt sich das Vorhaben von „braun werden“ zu „brauner werden als alle anderen“ verselbständigt sich das Ziel. Es braucht als Ausgleich die Erlaubnis an sich selbst, auch mal die Sonne zu meiden.

Um in die Harmonie zu kommen, sollten sich Gierige als Ausgleich Großzügigkeit erlauben, Geizige ein wenig Großmut und Lockerheit, Samariter ein wenig Eigenständigkeit und Egoisten ein wenig Offenheit für andere Menschen. Optimisten dürfen auch mal verzweifelt sein. Denn wer wie ein Sklave sein einmal gefasstes Ziel nur um des Zieles willen verfolgt, endet in der Regel krank und einsam.

Erst wenn man weiß, was Angst ist, bekommt man Mut. Nur der ist wirklich mutig, der seine Angst zu bezähmen weiß.

Der Druide Miraculix in „Asterix und die Normannen“


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