Besser Zuhören 2023


Ein wichtiges Gespräch im Familienrat stand an, bei dem es um die ganz persönlichen Zukunftspläne ging. Da lag viel Konfliktpotential in der Luft, besonders weil eine Person alle anderen totreden konnte. Entnervt fragten sich manche: „Warum hört dieser Mensch eigentlich nie zu?“

Ein Gespräch ist im besten Fall eine ausgeglichene Begegnung von Menschen, die im Wechsel aus Denken, Sprechen und Zuhören ihre Gedanken offen austauschen. Dabei respektieren sie die anderen Teilnehmenden als Personen, versuchen ihre Haltung zu verstehen und zeigen da freundlich doch bestimmt Grenzen auf, wo sie mit etwas nicht einverstanden sind.

Puh – das sind viele Voraussetzungen für gelungene Dialoge. Und in der Realität sind die Anteile aus Reden und Schweigen oft ungleich verteilt. Da haben manche das Talent, das Gespräch zu bestimmen („XY reißt immer das Gespräch an sich!“). Manche kommen sich vor wie reine Stichwortgeber („Ich erzähle vom Urlaub und er/sie/es hat immer eine noch viele tollere Geschichte zu erzählen!“). Und dann gibt es die Schweigenden, die schwer einzuschätzen sind: stehen sie an meiner Seite? Stimmen sie zu? Sind sie überhaupt noch anwesend?

Was im familiären Umfeld durch historische Verstrickungen und emotionale Abhängigkeiten erschwert wird, ist im Beruf durch Hierarchien belastet. Da wird oft weniger miteinander geredet, als gegeneinander, übereinander, aneinander vorbei oder monologisiert (eine/r redet, alle anderen schweigen).

Mit Empathie und Verstand zuhörenReden ist meiner Meinung nach in erster Linie zuhören – und rückfragen: „Ich habe bisher das und das verstanden, stimmt das?“ Was auf den ersten Blick eine akademische Verlangsamung ist, die den Gesprächsfluss stört, wirkt in der Anwendung als eine wahre Abkürzung. Missverständnisse können schneller aufgelöst werden und das Nachfragen hilft herauszufinden, wer was wirklich sagen wollte. So entsteht Verstehen.

Wir haben vermutlich schon alle mal erlebt, wie klar im eigenen Kopf eine Sache war. Sollten wir sie jemandem anderen in den eigenen Worten erklären, verhedderten sich die Gedanken und die Worte konnten einfach nicht beschreiben, wie es im Innern aussah. Das Ringen um Worte mag nervig erscheinen, doch zeugt es von echtem Willen, der/dem Gegenüber nicht einfach eins verbal „vor den Latz zu knallen“, sondern davon, sich verständlich zu machen.

Daher wünsche ich mir, dass wir uns alle in diesem Jahr besser zuhören, um so fruchtbare Dialoge zu nähren.

So geht es oft mit einer Unterhaltung: Nach einer Weile vergeblicher Auseinandersetzung merkt man, dass man gar nicht von derselben Sache gesprochen hat.

André Gide (1869-1951, franz. Schriftsteller)


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