Anfang März begleitete ich eine Gruppe von IKEA Mitarbeitern nach Bangladesch. Dort besuchten wir Bildungsprojekte für Kinder und Jugendliche von Save the Children, die durch eine Spendenaktion unterstützt werden. Statt Betroffenheits-Tourismus erlebte ich, wie ich reich beschenkt nach Hause zurückkehrte. Ich hatte Nachhilfeunterricht in der Schule des Lebens bekommen.
Bangladesch: eines der ärmsten Länder der Welt, rund acht Millionen Kinderarbeiter und Überschwemmungen in der Monsunzeit, Malariagebiete und hohe Tollwutrate, Slumviertel und zahllose Textilfabriken – was wir über das Land zwischen Indien und Myanmar (Birma) wissen, klingt eher nach Depression als nach Inspiration. Stattdessen landete ich mitten in einem emsigen Bienenstock, in dem die Menschen mit allen Mitteln versuchten, die Schwächen der Infrastruktur und die Probleme der Wirtschaft auszugleichen, um ihr Glück zu machen. Bunt wie Indien mit einer Melange aus hinduistischer Prägung und tolerantem Islam entzieht sich Bangladesch einfachen Urteilen.
Wir fuhren in die Berge bei Khagrachari↗, um dort Vorschul- und Grundschulprojekte zu besuchen. Irgendwann wurde mir klar, dass ich auf der Landstraße in der letzten Stunde jede Minute eine Gruppe oder Paare von Schulkindern gesehen habe, die in adretten Schuluniformen, die Bücher unter den Arm geklemmt, mit Stolz und Freude kilometerweit zur Schule laufen. Da in dieser Region traditionelle Stammessprachen gesprochen werden, lernen die Kinder in der Vorschule ihre eigene Sprache zu lesen und zu schreiben und parallel die offizielle Landessprache Bangla, die in den weiterführenden Schulen unterrichtet wird. Bildung, das wird schnell klar, ist der einzige Weg, um aus dem Teufelskreis Armut – keine Schule – keine qualifizierte Arbeit – Armut herauszukommen.
In der Hauptstadt Dhaka trafen wir Jugendliche, die neben ihrer Arbeit in Haushalten, Fabriken oder Läden eine Schulausbildung und eine Berufsausbildung machten. Durch diese Qualifizierung bekamen sie einen anständig bezahlten Job oder machten sich selbständig. Ich rede hier von Kindern, die arbeiten mussten, weil ihre Familien auf die Einkommen angewiesen waren, die sich aber quasi am eigenen Schopf aus der Armut herauszogen und eine langfristig stabile Perspektive aufbauten. Als Deutscher ist man schnell geneigt, moralisch überheblich zu werden und solche Projekte als „Tropfen auf den heißen Stein“ zu bezeichnen. Dort, in Bangladesch, ist die Schule, die Berufsausbildung für die Kinder ein „Sechser im Lotto“. Dass ein Prozent der Straßenkinder sogar einen Universitätsabschluss schaffen, zeigt das enorme Potential, das in den Kindern liegt.
Und dann ist da noch das Selbstwertgefühl. Das steigt automatisch durch das Lernen, durch die Entwicklung. Kinder verwalten einen Freizeitclub selbst und setzen sich persönlich für die Kinderrechte bei Firmen und Dienstherren ein, wenn sie erfahren, dass Kinder schlecht behandelt wurden.
Nach fünf Tagen in Bangladesch fühle ich mich reich beschenkt:
- Mit der unbändigen Freude und Energie am Lernen, die die Kinder haben.
- Mit Respekt vor ihrer Leistung und ihrem Willen.
- Mit selbstgemachten Geschenken, die von Herzen kamen und die wertvollsten Teile meines Reisegepäcks wurden.
- Mit Demut und Dankbarkeit für meine privilegierte Lebensumstände.
- Und mit der Erkenntnis, dass es immer irgendwie weiter geht, auch wenn die Umstände / Straßen / Finanzen wie unüberwindbare Hindernisse wirken.
Wer mehr über die Reise wissen will, kann in einem Blog der IKEA Foundation↗ nachlesen. Wer sich engagieren will, schreibe mir eine E-Mail.
Vorschau
Bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen werden intimste Geheimnisse offenbar. Ich meine weder den Inhalt des Kulturbeutels noch Wäschedetails, sondern die persönlichen Dinge, die Menschen auf eine Reise mitnehmen. Warum mag wohl ein gestandener Geschäftsmann einen Teddybären in seinem Samsonite Rollkoffer dabei haben? Mehr dazu am 31. März, hier in meinem Blog.
Eine Antwort zu “Nachhilfeunterricht in Bangladesch”
Ein toller Text, der Mut macht, dass manche Dinge doch besser werden, und nicht immer alles nur schlechter.
Das Argument mit dem „Tropfen auf dem heißen Stein“ habe ich auch schon oft gehört – ist meiner Meinung nach meistens eine Rechtfertigung für die eigene Lethargie. Viele Tropfen kühlen auch den heissesten Stein ab – einer muss nur den Anfang machen!