Der Abteilungsleiter hatte gekündigt, ein Interimschef war noch nicht mal an Bord – da hatte sich die ehrgeizige Kollegin den Chefsessel schon an ihren Tisch geschoben. Nachdem ihr Titel mehr „Manager“ versprach als die Hierarchie hergab, nutzte sie das Machtvakuum, um eine neue Strategie entwickeln zu lassen. Bevor der „Neue“ anfing, war sein Handlungsspielraum von ihr bereits erfolgreich eingeschränkt. Was sollte er nun tun?
Für eine neue Führungskraft gleichen die Machtverhältnisse im Unternehmen einer Nachtwanderung in einem Moor: Die Landkarte, also das Organigramm, weist auf die Grashügel hin, auf denen man sicher durch das Schlammfeld gelangen kann. Überall erscheinen im Licht der Taschenlampe Hinweisschilder: gute Ratschläge von Angestellten und Führungskräften, die so den Neuen in den Mikrokosmos der Firma einführen. Und das Gegenteil von guten Ratschlägen: die gut gemeinten, aber hinterhältig in die falsche Richtung Weisenden. Die Untergebene beispielsweise, die in der Umbruchzeit von einer Beratungsfirma schon mal eine Strategie hat entwickeln lassen, erklärt: „Es galt, keine Zeit zu verlieren, damit wir den Anschluss an den Markt halten.“ Sehr löblich nach außen hin, doch im Kern, quasi unter der Grasnarbe, steht die abwertende Beziehungsbotschaft: „Auf Dich habe ich nicht gewartet und an mir kommst Du sowieso nicht vorbei!“ Ganz im Stile von Staatsekretären, denen es egal ist, wer unter ihnen Bundesminister ist und die so faktisch die Hierarchie auf den Kopf stellen.
Die Schwierigkeit für den Chef besteht in der inkongruenten Nachricht: Er empfängt zwei sich widersprechende Botschaften, wobei er dem offiziell Gesagten durchaus zustimmen kann. Sprich: auf die Marktentwicklung muss man in der Tat aufpassen. Er muss jedoch die unterschwellige, weil unausgesprochene Beziehungsdefinition zurückweisen. Die, dass er hier als Chef nicht gebraucht wird. Verpasst er das, bekommt er kaum noch ein Bein auf den Boden. Es hilft, wenn er die Situation ruhig analysiert:
- Um was geht es in der Sache: wie ist die Faktenlage?
- Wie geht es mir, wenn ich das jetzt höre?
- Was hält wohl die Andere von mir? Und was halte ich von ihr?
- Zu welcher Handlung werde ich jetzt aufgefordert – tatsächlich oder vermeintlich?
Jede Frage bedarf des Nachdenkens, unter Umständen müssen weitere Informationen eingeholt werden. Doch dann kann der Chef eine stimmige, für ihn passende und der Situation angemessene Reaktion zeigen. Als Neuling in fremder Umgebung ist ihm der Königsweg versperrt, offen den Angriff auf seine Stellung und Autorität anzusprechen; er muss sich in der üblichen Geschäftssprache wehren. Das könnte beispielsweise ausgesprochen so lauten: „Vielen Dank, dass Sie den Prozess der Strategieentwicklung angestoßen haben. Ich gehe davon aus, dass das mit dem Bereichsleiter so abgesprochen war. Ich werde mir die Entwürfe der Berater anschauen und auf meine eigenen Vorstellungen abstimmen. Das Ergebnis stelle ich dann dem gesamten Team vor. Wenn ich noch Fragen habe, wie dies oder jenes hier im Unternehmen gehandhabt wird, würde ich auf Sie zukommen.“ Implizit, unausgesprochen, sagt er auf der Beziehungsebene: „Der Chef bin ich.“
Es stört mich nicht, was meine Minister sagen, solange sie tun, was ich ihnen sage.
Margaret Thatcher (1925 – 2013, britische Premierministerin)