Von Positionen und Rollen: Warum Stellenausschreibungen versagen


Als die Kollegin ihren letzten Arbeitstag hatte, wurde ihre Nachfolge noch in Bewerbungsgesprächen gesucht. Dabei ging es um Aufgaben und Anforderungen des Stellenprofils. Doch die wahre Lücke, die ihr Weggang in das Teamgefüge riss, wurde auf diese Weise nicht gefüllt – mit einschneidenden Folgen für die Effizienz der Abteilung.

Wer sich Stellenausschreibungen durchliest, kann die immer gleichen Wortlisten finden. Es geht um Einsatzbereitschaft (überdurchschnittlich natürlich), Resistenz gegen Stress (bitte von Natur aus immun sein) und Teamfähigkeit. Doch gerade dieser Begriff bildet nur ganz unzureichend das ab, worum es geht: um die Rolle nämlich, die in dem Team (wieder-)besetzt werden soll.

Die nicht besetzte Rolle hinterließ eine schmerzliche LückeJedes Team besitzt verschiedene Charaktere. Beispielsweise das fleißige Lieschen, das treu alles wegschafft, ohne sich groß in den Vordergrund zu spielen. Den Kritiker, der beständig den Finger in jede Wunde legt. Oder die „Mutter der Kompanie“, zu der die erwähnte Kollegin zählte. Sie sorgte für gemeinsame Pausen, persönliche Geburtstagsgeschenke, aufheiternde Geschichtchen bei schlechter Stimmung oder auch mal einen Teamausflug, bei dem es herrlich blödsinnig-entspannt zuging. Diese Rolle war für die Effizienz der Gruppe viel entscheidender, als die Aufgaben, die in ihrem Stellenprofil standen. Denn sie erfüllte das Bedürfnis nach Wärme und Menschlichkeit in einem professionellen Kontext.

Bei der Stellenausschreibung ging es leider nur um die Position und nicht um die Rolle. Diese wurde nicht besetzt und niemand anderes aus dem Team übernahm sie, was eine schmerzliche Lücke hinterließ: die Pausenzeiten zerfledderten, Aufheiterungen wurden rar und Teamausflüge fielen aus. In der Folge bekam das fleißige Lieschen schlechte Laune, weil es einsam wurde. Der Kritiker nervte alle nur noch, weil es im Ausgleich nichts mehr zu lachen gab. Missstimmung breitete sich aus, die Arbeitsergebnisse wurden schlechter. Dafür wurde die neue Kollegin verantwortlich gemacht. Früher, bevor sie kam, „sei das Team mehr ein Team gewesen“ war der Vorwurf. Dabei war die Neue einfach unabhängig und professionell. Sie war hier auf der Arbeit und zu Hause war sie privat. Hätte sie in der Stellenanzeige gelesen: „Mutter der Kompanie gesucht“, hätte sie sich nicht beworben.

Beim Abschied wird die Zuneigung zu den Sachen, die uns lieb sind, immer ein wenig wärmer.

Michel de Montaigne (1533 – 1592, franz. Philosoph)


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