Es war die jährlich wiederkehrende Meisterprüfung für ihr Organisationstalent: an Weihnachten wollten alle Verwandten besucht werden – nicht nur ihre eigenen, sondern auch die des Ehemannes. Sie alle wohnten verteilt in der Republik, teilweise geschieden und neu verheiratet. Als ihr Partner fragte, wann sie beide denn mal für sich Zeit hätten, wusste sie nicht, ob sie lachen, weinen oder schreien sollte. Vielleicht einfach vor allem und jedem fliehen?
Menschen, die schon in den 90er Jahren Windows-Computer benutzten, kennen den berühmt-berüchtigen „Blue screen of Death“: Wie aus heiterem Himmel wurde eine kryptische Meldung im Stile von
0x0000001E, KMODE_EXCEPTION_NOT_HANDLED
auf leuchtend blauem Bildschirm angezeigt, der Computer fror ein und der notwendige Kaltstart vernichtete alle nicht gesicherten Daten. Dem PC war es einfach zu viel geworden oder eine unerwartete Anforderung ließ ihn abstürzen.
Mit einem solchen Bluescreen würde vielleicht mancher auch gerne reagieren, wenn die alljährliche Weihnachtsplanung ansteht. Jetzt, in den theoretisch ruhigen und besinnlichen Adventswochen, muss die Meisterleistung vollbracht werden:
- Alle fühlen sich ausreichend besucht.
- Nur die Menschen sind zur gleichen Zeit am gleichen Ort, die auch miteinander „können“.
- Die hierarchische Reihenfolge ist korrekt: der 24.12. adelt die Besuchten vor allen anderen.
- Die Fahrstrecke ist auf Zeit, Länge und Staugefahr hin optimiert.
Was in der Mathematik als „Problem des Handlungsreisenden“ bekannt ist, lässt den eigenen Wunsch unter die Räder kommen, wie ich denn ganz persönlich meine Weihnachtstage verbringen will. Um die eigene Zeit zu retten, wird von vielen die Flucht angetreten. Auf die Hütte in den Alpen, auf eine abgelegene Nordseeinsel, in die Sonne des Südens. Und doch ist es dort für so manchen nicht wirklich Weihnachten. Weihnachten, das seien doch eigentlich die eigenen vier Wände.
Ich stand auch vor dieser Aufgabe und habe mich gemeinsam mit meiner Frau entschieden, dass wir uns unser Weihnachten selbst gestalten. Und das taten wir auch. Was anfangs als Zurückweisung angesehen wurde, konnte unser Umfeld im Laufe der Jahre erkennen als das, was es ist: unsere persönliche Tradition, die keinen anderen verletzen soll, sondern einfach uns gewidmet ist. Und weil wir dann entspannt in der Zeit zwischen den Jahren unsere „honneurs“ machten, also unsere Verwandten besuchten, haben wir gleichzeitig ein Vorbild gegeben: Weihnachten – das kann tatsächlich besinnlich sein.
Take it easy – but take it.
John Cage (1912 – 1992, US-amerikanischer Komponist)