Noch knapp fünf Wochen bis Weihnachten und sie geriet langsam unter Druck. Da waren täglich neue Meldungen über leere Regale und die Nachbarin hatte auch schon alle Geschenke gekauft. Und sie quälte sich immer noch mit der Frage: Was will ich denn heuer verschenken?
Unsere Gesellschaft wird nach 20 Monaten Pandemie dem ultimativen Härtetest unterzogen: an Weihnachten drohen leere Regale, unter den Weihnachtsbäumen wird der blanke Boden zu sehen sein und traurige Kinderstimmen singen verzagt die traditionellen Lieder. Dieses Horrorszenario malen manche Schlagzeilen von Lieferengpässen an die Wand. Es scheint immer noch die alte Journalisten-Weisheit zu gelten: Bad news is good news – schlechte Nachrichten verkaufen sich am besten. Denn neben den aus dem Takt geratenen globalen Lieferketten kommen auch noch höhere Energiepreise auf die Menschen zu, dazu droht ein weiterer Pandemiewinter mit Kontakteinschränkungen. Die friedlich-heimelige Adventszeit wird von vielen Seiten bedroht.
Wenn wir ehrlich zu uns sind, leben sehr viele Menschen in Deutschland in einer Überflussgesellschaft, es gibt von allem mehr als genug und in allen erdenklichen Ausführungen. Wer wühlt sich heute noch durch 986 Suchtreffer für „Tischlampe bis 30cm Höhe“ bei einem der üblichen Online-Shops? Und jetzt grassiert also die Weihnachtspanik, denn unter Umständen sind 32 dieser Lampen nicht verfügbar! Dabei gibt es wirklich Menschen am Rande der Gesellschaft, die gerade ganz andere Probleme haben, als sich um Geschenke zu kümmern. Sie tauchen nicht in der Berichterstattung auf, obwohl sie zwar viele, aber leise und damit nahezu unsichtbar sind. Zwei dieser Gruppen möchte ich Ihnen heute vorstellen.
Zum einen die Menschen ohne ein angemessenes Zuhause. Das betrifft weit mehr Menschen als die „Penner auf der Platte“, die vor Kaufhaus-Eingängen oder unter Brücken leben. Verdeckte Obdachlosigkeit betrifft Familien, die mit zu vielen Menschen auf zu wenig Fläche leben müssen. Mieter, die in heruntergekommenen Bleiben feststecken, weil sie sich bei den aktuellen Mietpreisen keine andere Wohnung leisten können. Menschen, die in häuslicher Gewaltgemeinschaft ausharren müssen, weil Schutzräume überfüllt sind. Oder jene, die auch nach Jahren in Deutschland immer noch in Gemeinschaftsunterkünften leben, wo Privatsphäre und Ruhe nicht zu finden sind. Schätzungsweise 650.000 Menschen in Deutschland sind von dieser Wohnungslosigkeit betroffen.
Zum anderen Menschen, auf die eine Hassjagd (Hetzjagd mit Hassreden) stattfindet. Diese Menschen werden gezielt attackiert und auf allen möglichen Kanälen, im realen wie im digitalen Raum, mit Hassbotschaften überzogen, beleidigt, verleumdet oder bedroht. Sei es, weil sie dick sind. Sei es, weil sie eine bestimmte Hautfarbe nicht haben. Oder weil sie sozial aktiv sind. Manchmal auch alles zusammen und wenn es dann noch eine Frau ist, dann scheint der Mob keine Grenzen mehr zu kennen. Da werden Fotos entstellt und geteilt, Lügen verbreitet, die Privatadresse veröffentlicht und zum „Hausbesuch“ aufgerufen. Es folgen Produktbestellungen an ebenjene Adresse, die diese Menschen nie getätigt haben. Frauen leiden darüber hinaus unter Drohungen oder Belästigungen mit sexuellem Charakter. Oft können sich Betroffene nur helfen, indem sie alle Konten bei sozialen Medien löschen und sich komplett aus dem realen sozialen Leben zurückziehen.
Was also würde ich diesen Menschen zu Weihnachten schenken? Beistand durch Menschen, die das wirklich können! Die wissen, was zu tun ist. Die unterstützen, beraten, begleiten. Zwei Organisationen fallen mir dazu ein:
- Der Franziskustreff in Frankfurt ↗ begrüßt obdachlose Menschen wertschätzend als „Gäste“, baut Vertrauen auf und kann so behutsam beraten. Sicherlich gibt es ähnliche Angebote auch in anderen Städten.
- HateAid ↗ bietet Betroffenen digitaler Gewalt ein kostenloses Beratungsangebot und Prozesskostenfinanzierung. Dort wird jenen geholfen, die selbst keinen Hass verbreiten, unabhängig von Nationalität, Hautfarbe, Religion, Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, politischer Meinung und körperlicher Versehrtheit.
Wer mich in diesem Jahr fragt: „Was wünschst Du Dir zu Weihnachten?“ werde ich antworten: „Spende das, was Du erübrigen kannst, an den Franziskustreff oder HateAid.“ Denn mir ist es wichtig, nicht vor den Problemen davonzulaufen, sondern sie gemeinsam durchzustehen. Und damit hat sich das Weihnachtsgeschenke-Lieferkettenproblem auch von ganz alleine gelöst.
Lasset uns aufeinander achten und uns zur Liebe und zu guten Taten anspornen.
Hebräer 10,24
2 Antworten zu “Weihnachtliche Lieferengpässe als Chance”
Danke, lieber Kai. Wie immer sehr inspirierend! Noch eine Geschenkidee: Gutscheine für Institutionen, von denen man möchte, dass sie auch nach der Pandemie noch existieren, wie die Volkshochschulen oder Jugendherbergen.
Danke für diese Rückmeldung und den guten Tipp, liebe Claudia!