In Schönheit scheitern: hinfort mit den guten Vorsätzen für das neue Jahr!


Kurz vor Silvester hat sie endgültig das letzte Mal im Supermarkt das Regal mit den Chipstüten aufgesucht. Mit dieser schönen Gewohnheit, abends beim Filmeschauen eine Tüte Chips zu essen, soll jetzt im neuen Jahr endgültig Schluss sein. Doch dann sind diese leckeren englischen Chips im Angebot – wie soll sie da nur widerstehen?

Regelmäßig veröffentlicht die Krankenkasse DAK die Hitliste der „Guten Vorsätze“ für das neue Jahr. Seit Jahren stehen an oberster Stelle „Stress vermeiden oder abbauen“, „Mehr Zeit für Familie/Freunde“, „Mehr bewegen/Sport“ und „Mehr Zeit für mich selbst“. Im Mittelfeld liegen „Gesünder ernähren“ und „Abnehmen“, am Ende rangieren „Weniger Alkohol trinken“ und „Rauchen aufgeben“. Zunehmend an Bedeutung gewinnen „Umwelt- bzw. klimafreundlicher verhalten“ und „Weniger Handy, Computer, Internet“. Allesamt Dinge, die wir uns alle schon einmal oder mehrfach vorgenommen hatten. Insgesamt jedoch sinkt die Anzahl der Menschen, die gute Vorsätze fassen und je älter die Menschen sind, desto weniger Vorsätze nennen sie. Das scheint an ihrer Lebenserfahrung zu liegen. Denn nicht nur zu Corona-Zeiten ist es schwierig, einem guten Vorsatz treu zu bleiben.

Das hat zum einen mit dem Belohnungssystem zu tun. Wie sollen wir Menschen etwas erfassen, was wenig sichtbar ist und kaum zu greifen ist? Der Verzicht auf Dinge ist gerade dann erfolgreich, wenn sprichwörtlich nichts von dem geschieht, was vermieden werden soll. Kein Alkohol. Gesünder essen heißt: keine Chips und Schokolade. Abnehmen heißt: weniger essen. Sie verzichten auf etwas und die Belohnung ist der Verzicht selbst? Der Erfolg des Durchhaltens wird schließlich erst mit großer Zeitverzögerung, nach Wochen oder gar erst nach Monaten, spürbar. Das kann nicht funktionieren.

Alles was mit Liebe betrachtet wird ist schönZudem fällt es dem Verstand schwer, eine Verneinung zu verarbeiten. Die Aufforderung „Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten!“ lässt unmittelbar einen rosa Elefanten vor Ihrem geistigen Auge erscheinen. So ist es auch beim Verzicht: Nehmen Sie sich vor: „Ich esse jetzt keine Tüte Chips!“ wird daraus im Kopf „Chips! Tüte! Essen!“ und Sie werden schwach. So hat Ihr Belohnungssystem auch sofort eine Erfolgsmeldung: Sie sehen eine von Ihnen geleerte Chipstüte, eine geköpfte Flasche Wein, ein zerknülltes Schokoladenpapier. Das Signal: Sie haben etwas (weg)geschafft! Applaus! Applaus! Applaus! Und schon ist er hin, der gute Vorsatz. Einmal gesündigt, ist es dann auch egal und die Schleusen für neue Fressfluten sind geöffnet.

Zum anderen machen wir einen Großteil der Dinge, die wir täglich tun, ganz automatisch, ohne darüber nachzudenken. Gute Vorsätze scheitern oft an der Zeit, die ihre Etablierung benötigt. Vorsätze müssen, das ist ein Kraftakt, zu einem neuen Automatismus werden. Kennen Sie die biblischen „vierzig Tage“? Dieser Zeitraum beschreibt Erfahrungen, die erlitten werden müssen, um dann daran gewachsen und innerlich gereinigt herauszugehen. Neuere Forschungen gehen von rund zwei Monaten aus, die ein Mensch braucht, neue Gewohnheiten zu automatisieren, 66 Tage um präzise zu sein. Tag für Tag das Neue einüben, auf das Alte verzichten – oft ohne direkte, unmittelbar sichtbare Belohnung. Das ist nur etwas für hartnäckige Menschen, die zu einem gewissen Maß an Askese und Disziplin fähig sind. Das beste Beispiel: die Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern.

Doch das alles ist kein Grund, Trübsal zu blasen. Sehen Sie das Scheitern der Vorsätze doch einmal als ein gutes Zeichen. Wie durch einen Kompass, dessen Nadel nach Süden zeigt, wird Ihnen vor Augen geführt, was Ihnen wirklich wichtig im Leben ist. Und wenn Ihre Ziele mit Selbstoptimierung (straffer Körper, bessere Leistungsfähigkeit, länger „jung“ sein) zu tun haben, feiern Sie das Scheitern: Es geht in Ihrem Leben schließlich darum, mit sich selbst in Frieden zu leben. Denn alles, was mit Liebe betrachtet wird, ist schön.

Schon wieder steht ein neues Jahr vor der Tür. Und damit müssen neue Vorsätze her: Wie wäre es mit weniger fluchen? Aber: Was soll der Scheiß?

Susanne Fischer in der „taz – die tageszeitung“.


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