Ein Frontbericht aus meinem Inneren


Anfang März werde ich mit meiner Firma für eine Woche nach Bangladesch fliegen, um vor Ort Bildungsprojekte für Kinder und Jugendliche zu besuchen, die wir mit Spenden fördern. Seitdem ich das weiß, ist mein Inneres Team in Aufruhr und die Frontlinie geht mitten durch mich hindurch. Es geht um nichts Geringeres, als die Integration unvereinbarer Gegensätze.

Ich gestehe freimütig: ich genieße die Errungenschaften eines reichen Landes. Ein sicheres, schönes Zuhause; gute Gesundheitsvorsorge; die Distanz, die man hier zwischen sich und anderen wahrt; Hygiene ist nichts, worüber ich mir hier Gedanken machen muss. Ich mache gerne Urlaub in Deutschland und in Europa, vor allem in dessen kühlen Regionen im Norden und Westen. Das ist meine Heimat, meine Komfortzone. Und nun werde ich da raus gerissen und fahre in ein Land, das nach eigenen Aussagen zu den Ärmsten der Welt gehört; Trinkwasser ist nur aus gekauften Flaschen zu empfehlen; die Bevölkerungsdichte ist bis zu 30 Mal höher als hier; das Klima schwül-heiß.

Scheinbar unvereinbar sind die Gegensätze in mirLegt man eine Achse zwischen meiner Heimat und dieser Reise befindet sich an deren einem Ende das Dauerhafte, Planbare, Sichere, Ordentliche (mein Zuhause). Am anderen Ende ist der Zauber des Neuen, das Unzuverlässige, Spontane und die Improvisation – also Bangladesch beheimatet [mehr dazu]. In mir gibt es Teammitglieder, die sich jeweils der einen oder anderen Seite zuordnen. Da sitzen die einen im Sessel während die anderen mit dem Koffer in der Hand losmarschieren. Mit Bedauern und Unverständnis schauen sie sich nach. Diese innere Zerrissenheit lähmte mich, in mir tönte es gleichzeitig „Home sweet home“ und „Reisende soll man nicht aufhalten“.

Doch seit einigen Tagen bin ich meinem inneren Frieden sehr nahe gekommen. Geholfen haben erstens äußere Feinde und zweitens innere Bedürfniserfüllung.

  1. Der äußere Feind sind die Ansprüche, die an mich gestellt werden: beispielsweise was meine Aufgaben vor Ort sind oder wer mir welche Vorgaben machen möchte. Das hat mein Inneres Team für die Zeiten vereint, in denen ich eine klare Position brauchte, um meine Gesamtinteressen zu vertreten.
  2. Die innere Bedürfniserfüllung passierte während der Reisevorbereitungen. Ich fütterte die heimatverbundene, auf Sicherheit bedachte Fraktion mit Impfgesprächen bei Ärzten, Besuchen in Outdoor-Läden oder Lesen von Reiseberichten. Damit signalisierte ich: „Ich nehme Eure Bedürfnisse ernst und tue alles, um gut vorbereitet abzufliegen.“ Und sie waren es zufrieden. Damit konnte ich gleichzeitig die reiselustige Fraktion „anfixen“. Jedes Gespräch, jeder Besuch war für sie schon wie eine kleine Reise an sich. In der Fantasie sah sie sich in dem Hotel in den Bergen das gerade gekaufte Moskitonetz aufhängen; lernte, Affen soll man nicht zu lange direkt anschauen, das nehmen sie als Angriff; schmeckte schon das scharfe bengalische Essen, für das das Durchfallmittel gedacht ist.

Nach Wochen der lähmenden Zerrissenheit bin ich nun geistig und emotional in Bewegung und die Vorfreude steigt. Wie immer, wenn ich in eine neue Umgebung geschmissen werde, habe ich mich sehr schnell an die Umstände angepasst und mich wohl gefühlt. Mit diesem sicheren Wissen um meine Anpassungsfähigkeit dehne ich meine Komfortzone für eine Woche sogar bis nach Bangladesch aus.

P.S.
Auf dem indischen Subkontinent gibt es eine ganz eigene Sichtweise auf Ängste vor Neuem oder Ungewohnten. In einem Youtube-Video↗ beschreibt Mr. Ramesh das „Lebenselixier Angst“.

Vorschau

Es scheint eine schwere Krankheit zu geben, die weit verbreitet ist, aber keinen Widerhall in den Medien findet: die Lob-Wahrnehmungs-Störung (LWS-Syndrom). Die daran Erkrankten nehmen Lob in einem doppelten Sinne nicht wahr. Doch oh Schreck! Auch ich spüre schon erste Anzeichen von LWS in mir. Lesen Sie mehr dazu am 3. März, hier in meinem Blog.


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