Die Meisterin auf dem Sofa


Als ich vor über zwanzig Jahren im Zivildienst war, lernte ich einen alten Herrn in seinen Achtzigern kennen, der – ohne dass er es wollte – eine Lebenshoffnung in mir zum Zerplatzen brachte. Ich wollte im Alter endlich ruhig und gelassen sein. Das, so sagte er, habe er auch immer gehofft. Aber er sei es bis heute nicht. Ich fragte mich: Wenn das Alter keine Ruhe und Weisheit bringt, was dann?

es iss nix so schlescht dass es net für was gud wärEs wird Zeit, dass ich Ihnen ein großes Vorbild von mir vorstelle. Emmi wohnt unter uns, wird bald 89, ist geistig immer noch topfit und in der Regel sehr vergnügt. Sie ist liebreizend, freundlich, lacht viel, bejaht das Leben und manchmal scheint ein junges Mädchen auf dem alten Wohnzimmersofa zu sitzen und nicht eine Frau mit Rückenschmerzen, kaputten Knien und auf einen Gehstock angewiesen. So möchte ich auch mit Achtzig sein!

Eine solche Lebenseinstellung kann sich niemand im hohen Alter einfach zulegen, das ist jahrzehntelange Übung. Emmi wurde 1923 geboren und hat entbehrungsreiche Zeiten erlebt. Und überlebt – auch deshalb, weil sie das Beste aus den gegebenen Situationen machte. Sie konnte die Welt um sie herum nicht verändern, aber ihre Haltung dazu. Sie hat die Chancen gesucht und gefunden, die als Kern noch in jeder Krise stecken. „Es iss nix so schlescht dass es net für was gud wär“ mag abgedroschen klingen, doch nicht aus ihrem Mund. Sie gewinnt den Umständen möglichst immer noch was Positives ab und in ihrem Alter sind die Umstände oft eine große Herausforderung. Damit ist sie eine Meisterin im „Re-framing“, einer Methode aus dem Systemischen Coaching. Und das, obwohl ihr der Begriff sicher unbekannt ist.

Beim Re-framing verändere ich den Bezugsrahmen, in dem eine Situation steckt: Was aus meiner Perspektive „schlecht“ ist, macht für andere durchaus Sinn oder hat eine positive Bedeutung für mein Gegenüber. Ich kann nun versuchen, meinen Blickwinkel zu verändern und werde damit wahrscheinlich Dinge entdecken, denen auch ich etwas Positives abgewinnen kann. Durch Re-framing schaffe ich mir Raum für Handlungsoptionen und Freiheit für Entscheidungen.

Eine winzige Übung fällt mir dazu ein: Ich habe auf unzähligen Reisen fotografiert und in fremden Orten einen Diarahmen in der Hosentasche gehabt. Bevor ich ein Foto gemacht habe, habe ich mir einfach den Diarahmen vor die Augen gehalten, ihn hin und her bewegt, den Ausschnitt verändert, Dinge in neue Beziehung zueinander gestellt oder voneinander getrennt und dabei neue, spannende Perspektiven entdeckt. Manchmal habe ich auch gemerkt, dass angeblich schöne, spannende Motive durch den Rahmen betrachtet stinklangweilig sind. Erst mit meiner persönlichen Note, meinem gewählten Ausschnitt ein paar Schritte weiter wurde der Eiffelturm zu meinem ganz persönlichen Lieblingsmotiv. Wer keinen Diarahmen hat, nehme einfach Daumen und Zeigefinger der beiden Hände. Öfters mal den Rahmen vorgehalten und neu ausgerichtet – und die Welt erscheint in neuen Zusammenhängen.

Vorschau

Neulich saßen wir mit einem befreundeten Ehepaar in einem Straßencafé einer reichen gediegenen Kleinstadt. An uns flanierten die Menschen vorbei, da sagte unsere Freundin: „Schaut mal, lauter gelangweiltes Geld!“ Als ich kurz darauf in einem Museum eine Karte mit dem Spruch „Geiz und Glück werden sich niemals kennenlernen“ fand, erinnerte ich mich an das gelangweilte Geld. In welcher Verbindung stehen Geiz, Glück, Geld und Großzügigkeit und was hat das mit einem Gefängnis zu tun? Am 14. Oktober können Sie mehr über diese „Fünf G“ erfahren, hier auf meinem Blog.


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