Zuckerbrot und Peitsche: der Missbrauch der Belohnung


Als ich letztens eine Mutter hörte, die zu ihrem zweijährigen Kind sagte: „Wenn du wieder lieb bist, bekommst du deinen Teddy zurück!“ schwoll mir innerlich der Kamm. Denn in meiner Welt wohnen die Belohung und der Machtmissbrauch in der gleichen Straße, nur ein paar Hausnummern voneinander entfernt.

Das Kind kann die Regeln der Mutter nicht erfüllenWas macht eine Belohnung aus? Eine Person oder Gruppe hat die Macht ein gewünschtes Verhalten vorzugeben. Sie kann zudem eine attraktive Belohnung in Aussicht stellen. Und sie kann unerwünschtes Verhalten sanktionieren. Wie finden Sie diesen Satz: „Be a good little boy, and you’ll get a new toy.” Hört sich erst mal harmlos an, oder? Tatsächlich besingt Pat Benatar, von der diese Liedzeile stammt, die „Hölle für Kinder“, nämlich den Kindesmissbrauch*). Missbraucht die Mutter in meinem Eingangsbeispiel ihr Kind? Meiner Meinung nach: Ja! Was denn, bitteschön, ist „lieb sein“? Das unterliegt ganz alleine der mütterlichen Definition. Hat das zweijährige Kind überhaupt eine Chance, dieser abstrakten, komplexen Situation gerecht zu werden? Ich finde: Nein.

Nicht, dass ich jetzt missverstanden werde. Ich habe nichts gegen Belohnungen. Eine attraktive Belohnung kann ein Ansporn sein, eine schwere Aufgabe zu erfüllen oder über seine Grenzen hinaus zu wachsen. Unerträglich wird es aber, wenn der Belohnende seine Position der Stärke nur zum eigenen Vorteil ausnutzt. Dann verwandelt sich „Stärke nutzen“ in „Machtmissbrauch“, wird ein (positiver) Wert zu einem (negativen) Unwert, denn es fehlt an einem Korrektiv. Richtig wäre: Die Position der Stärke wird von ihrer schwesterlichen Tugend im Gleichgewicht gehalten: dem Interesse den anderen zu achten und seine/ihre Rechte zu respektieren. Wie auf einer Waage halten sich die Macht und der Respekt im Gleichgewicht. [mehr dazu] Fehlt der Respekt, sinkt die Waagschale zum Machtmissbrauch herunter. Fehlt die Macht, droht vor lauter Respekt für den anderen die Selbstaufgabe.

Missbrauch von Belohnungen in der Geschäftswelt

Zum einen gibt es im Innenverhältnis „Incentives“ für besonders erfolgreiche Verkäufer. Ich habe Vertriebsmitarbeiter aus dem Finanzbereich erlebt, deren größtes Ziel es war, einmal, wenigstens einmal, die gerahmte Urkunde „Verkäufer des Monats“ überreicht zu bekommen und für alle anderen sichtbar an die Wand hinter dem Schreibtisch hängen zu können. Koste es, was es wolle – auch für deren Kunden. Wer missbraucht hier wen: die Firmenleitung ihre Mitarbeiter oder die Vertriebler ihre Kunden?
Im Außenverhältnis belohnen Einzelhändler ihre Kunden dafür, bestimmte Geschäfte aufzusuchen oder Produkte zu kaufen, mit Punkten, Digits, Meilen. Wie immer der Name ist, das Prinzip ist: „Kaufe nach meinen Vorschriften und du bekommst etwas, von dem ich glaube, dass es attraktiv für dich ist.“ Erfolglose Bonus-Systeme scheitern an der angebotenen Belohnung, die den Kunden nicht reizen, sich den Vorschriften des Bonusprogramms zu unterwerfen.

Belohnungen sind prima, wenn ich dem Belohnenden nicht machtlos ausgeliefert bin.

*) Hell is for children (Pat Benatar/Roger Capps/Neil Geraldo, 1980)

Vorschau

Beim Buchen des Fluges habe ich die Daten nicht ganz genau im vorgegeben Format eingegeben. Nach der geflissentlichen Korrektur kostete der Flug 20 Euro mehr. Ich bin fünf Minuten zu spät zur Verabredung: das geht gegen meine Ehre. Als Perfektionist ist das Leben kompliziert. Da lohnt es sich mal ganz genau hinzuschauen, was in „Mr. Hundert Prozent“ so los ist. Kommen Sie mit, ab 3. Februar hier im Blog.


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