Schicht für Schicht verschleiere ich meine Meinung


Neulich im Museum hörte ich vor einem Kunstwerk: „Eigentlich gar nicht mal so übel, das Ding hier. Das muss man jetzt mal zugeben.“ Aber hallo, da war ja ein echter Sprachkünstler am Werk! Er schmiss eine Burka aus Füllworten und Abschwächungen über den Kern der Aussage, bis der nicht mehr zu erkennen war. Einmal darauf aufmerksam geworden fielen mir zu meinem Entsetzen unzählige Verschleierungsworte auch in meinem täglichen Sprachgebrauch auf.

unzählige Verschleierungssätze in meinem täglichen SprachgebrauchIch ertappte mich dabei, dass sich wieder das Wort „müssen“ bei mir breitgemacht hatte. Dabei hatte ich es vor Jahren erfolgreich zurückgedrängt, als eine IKEA Werbekampagne im fiktiven Ort „Müssen“ spielte. Dort herrschten gesellschaftliche Zwänge und das echte Leben hatte keine Chance. Vor den Einrichtungshäusern gab es Schilder, wie sie am Ortsausgang stehen. Hier endete „Müssen“, der nächste Ort ist „Können“. Ich begann damals, „müssen“ zu ersetzen durch „mögen“, „wollen“, „können“, „vorhaben“, „wünschen“ – je nachdem, was ich wirklich zum Ausdruck bringen wollte. Denn der Klang der Worte verändert etwas im Kopf und im Herzen. „Ich muss dringend mal aufräumen“ klingt gezwungen und fremdgesteuert. Mit „Ich möchte jetzt endlich aufräumen“ habe ich das Heft des Handels noch in der Hand. Wie oft sage ich am Tag „Ich muss“?

Durch das Erlebnis im Museum richtete nun mein Augenmerk auf andere beliebte Schleierworte:

  • „Ich würde sagen …“ – sage ich es nun oder sage ich es nicht?
  • Eigentlich wollte ich …“ – und uneigentlich, was will ich?
  • Irgendwann sollten wir das mal angehen …“ – ich liebe diesen komplexen Klassiker! „Irgendwann“ verschiebt das Vorhaben in eine unbestimmte Zukunft und macht es vornherein unwichtig. Und was bedeutet hier „wir“? Ist das ein „Du-wir“ (Du machst es), ein „Ich-wir“ (Ich mache es) oder ein „Wir-wir“ (Wir machen es und ich übernehme die Führung)?

„Diese Liste ist nicht übel für den Anfang“ und meine damit „Diese Liste finde ich für den Anfang gut“. Das Wort „nicht“ wird vom Gehirn im Übrigen schlecht verarbeitet. Probieren Sie es aus und versuchen jetzt eine Minute lang nicht an einen blauen Elefanten zu denken.

 

 

Und? Wie sah er aus, Ihr Elefant? War er blau?

Das Wort „nicht“ wird vom Gehirn schlichtweg „überhört“. Daher empfehlen erfahrene Erzieher, den Kindern statt Verboten positiv besetzte Alternativen zu geben. Statt: „Die Füße gehören nicht auf den Tisch“ zu sagen: „Die Füße bleiben auf dem Boden“. Verbote werden nicht funktionieren, wenn die Eltern ihre Vorstellung nicht positiv formulieren. Ist Ihnen dieser Satz zu kompliziert, streichen Sie die beiden „nicht“ einfach durch.

Sollten Sie es ausprobieren und Camouflage-Sätze vermeiden, seien Sie gewarnt: Manche Menschen haben solange Versteck mit ihren Aussagen gespielt, dass sie es verlernt haben, eine klare Meinung zu sagen oder zu hören. Schade eigentlich.

Vorschau

Es wird Zeit, dass ich Ihnen ein großes Vorbild vorstelle. Sie wohnt unter uns, wird bald 89, ist geistig immer noch topfit und in der Regel sehr vergnügt. Einer ihrer Grundsätze ist nämlich „Es ist nichts so schlecht, dass es nicht für etwas gut wäre.“ Sie gewinnt den Umständen möglichst immer noch was Positives ab und mit 88 sind die Umstände oft eine große Herausforderung. Damit ist sie eine Meisterin im „Re-framing“, einer Methode aus dem systemischen Coaching. Und das, obwohl ihr der Begriff sicher unbekannt ist. Lernen Sie sie kennen, am 30. September, hier auf meinem Blog.


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