Psychosomatische Erkrankungen im Alltag


Die Schmerzen schienen unerträglich, doch die Sitzung sollte noch Stunden dauern. Als alles nichts mehr half, fuhr der Abteilungsleiter nach Hause. Als er dort ankam, waren die Schmerzen aber wie weggeblasen. Sein Körper und der Volksmund wussten, warum: „Es war schlicht nicht mehr zu ertragen“. Gibt es noch mehr Volksweisheiten, die einen Menschen daran erinnern, wie es ihm wirklich geht?

Der Körper hält einem den Spiegel vorEs ist verblüffend, wie viele alltägliche Redewendungen ungewollte Wahrheiten beschreiben. Zahllose Dentisten sehen Zähne, die durch nächtliches Knirschen zerrieben werden, denn da „muss sich jemand durchbeißen“. Die Hals-Nasen-Ohren Ärzte wissen um eine gute Einnahmequelle, weil ihre Patienten etwas „nicht mehr hören können“, „die Nase voll haben“ oder ihnen etwas „im Halse stecken bleibt“. Physiotherapeuten leben hauptsächlich von Menschen, die „krampfhaft an etwas festhalten“, „auf deren Rücken etwas ausgebadet wird“ oder die ständig „den Kopf einziehen“ müssen. „Das geht auf keine Kuhhaut mehr“ wissen Dermatologen beim Blick auf Hautauschläge.

Der Volksmund hat seit jeher eine lange Liste von Redewendungen parat, um all diese psychosomatischen Krankheiten zu beschreiben. Dabei war dieser Begriff seit seiner Einführung Ende des 18. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts nur in medizinischen Fachkreisen bekannt. Aber bis heute werden vielfach die Wechselwirkungen zwischen Körper und Psyche ignoriert. Wenn dann jemand die Signale des Körpers mit einer Redewendung beschreibt, gibt es ein kurzes Aufleuchten in den Augen des Kranken: „Ja stimmt, da hast Du recht!“

Der Körper hält einem den Spiegel vor

Wie schön ist es, wenn ab und zu diese Erkenntnis im Bewusstsein bleibt und die Schmerzen zum Anlass genommen werden, sich diese Fragen zu stellen: „Warum tritt gerade diese Krankheit auf?“, „Warum tritt die Krankheit gerade jetzt auf?“ und „In welchen Zusammenhängen befinde ich mich jetzt?“ Das ist ein erster Schritt, um sich zu befreien und seinen Körper zu schonen. Und wer nicht hören will, dem geht es vielleicht wie einer Lehrerin, deren Körper eine grandiose, weil einfache und effektive Krankheit einsetzt, um ihr die notwendige Ruhe zu verschaffen: Wird der Stress zu groß, verliert sie ihre Stimme. Und weil sie heiser ist, kann sie keinen Unterricht leiten.

„Es gibt auch Spiegel, in denen man erkennen kann, was einem fehlt.“
Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dramatiker und Lyriker


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