Der Vortrag auf der Führungskräftekonferenz sollte die Bewerbung für eine ganz wichtige Position sein. Es galt, den nächsten Karriereschritt vorzubereiten. Doch quälende Schmerzen und schlaflose Nächte, schon seit Wochen, warfen die Frage auf: Ist das jetzt alles ein bisschen viel?
Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran! Höher, schneller, weiter ist das für die Einen. Für die Anderen geht es um Nicht aufgeben, keine Schwäche zeigen, es sich und anderen beweisen. So kommen wir Menschen voran und halten schwierige Situationen durch.
Dafür haben wir innere Antreiber (m/w/d), die oft wenig schmeichelhafte Namen haben wie Wadenbeißer, Terrier oder Sklaventreiberin. Dabei sind es einfach sehr widerstandsfähige Kräfte, die eine wahre Meisterschaft im Durchhalten und Dranbleiben entwickelt haben. Die leider manchmal auch die Ansprüche von anderen zu ihren eigenen gemacht (internalisiert) haben. Das Lebensmotto lautet „Ja!“. In der ultimativen Ausformung ist es der pure Überlebenswille. Ohne den würde es uns alle einfach überhaupt nicht geben.
Doch dieser Durchhaltekraft sollte eine Geschwistertugend zur Seite gestellt werden, die mit einer Mischung aus Fürsorglichkeit und Gleichgültigkeit auf die Anforderungen der Welt reagiert. Diese Tugend ist keineswegs ein Drückeberger, das ist eine verletzende Unterstellung. Sie nimmt vielmehr im rechten Moment die Gesundheit in das Blickfeld, die eigene Verletzlichkeit und die Begrenztheit von Ressourcen wie Zeit, Kraft, Mut oder Kreativität. Um dann dafür zu sorgen, dass ein „Nein!“ ausgesprochen wird und manchmal im schier letzten Moment die Reißleine gezogen wird.
In solchen Situationen kommen leicht Selbst-Abwertungen ins Spiel. Da wird von Scheitern, Versagen oder Unfähigkeit gesprochen. Doch gerade die Selbstfürsorge erfordert Mut, Weisheit und tiefe Erkenntnis. Statt die Retter zu verfluchen sollten wir sie würdigen. Denn dadurch, dass ein Besuchswochenende abgesagt wird, ein Job gekündigt oder die Wohnung ungeputzt bleibt, wird das sensible Öko-System Mensch vor Überlastung geschützt.
Reißleine, die: Leine, mit der durch Ziehen der Fallschirm geöffnet wird (umgangssprachlich: eine gefährliche Entwicklung stoppen).
Deutsches Universalwörterbuch, 7. Auflage 2011